Sonntag, 31. Oktober 2010

Stille

Sie sitzt vornübergebeugt, stützt das Gesicht in die Hände und sieht zu, wie die schwarze Tinte Tropfen für Tropfen vor ihren Augen verschwimmt.
Wenn die Sprenkel auftreffen machen sie ein kleines Geräusch, wässern sich ein ins Blatt und zerfasern nach einer Weile an den Rändern zu einem Blauton.
Zuerst überlässt sie das Zerfließen dem Zufall, dann wäscht sie Wort für Wort aus dem Geschriebenen um es erträglicher zu machen.
Heraufbeschworene Erinnerungen zerfließen mit niedergekämpften Gefühlen, alles wird eins.
Sie hatte geschrieben was sie nie schreiben wollte und löscht es jetzt Träne für Träne wieder aus, bevor es gelesen werden kann.
Vielleicht ist damit das unfassbare zu verhindern.
Am Morgen wird sie versuchen das gewellte Blatt glatt zu streichen und die Worte wieder zu entziffern. Sie könnte versuchen sie nachzuschreiben um sie wieder sichtbar zu machen über all den Tränen, die nichts ändern und nichts fort- oder reinwaschen.
Sie wird damit leben müssen, wie mit einem Schuldeingeständnis und wird nie wissen, ob es nicht vielleicht doch ganz anders gekommen wäre.
Selbst wenn sie dieses Blatt zerknüllt bleiben die gedachten Gedanken unvernichtbar.
Und auch wenn sie sich wieder und wieder hinsetzt und schreibt und weint und schreibt und weint. Es bleiben die Worte, die Gedanken, der Sinn, immer gleich.
Eines Tages wird sie es trotz der Tränen aufschreiben müssen und weiterreichen,
damit ihre Tränen auf dem Papier nicht die einzigen bleiben.

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