Man hätte meinen können
er käme irgendwo aus dem Süden oder aus der Vergangenheit, bei dem
Namen. Da aber das Gegenteil der Fall war und er im Norden geboren
worden war, zwar nicht in der Zukunft, aber in der Gegenwart die nach
einer Vergangenheit kam die noch nicht so weit zurück lag, nur
knappe drei Jahrzehnte und ein bisschen. Aber genau das war der Grund
warum man ihn in der Kindheit ständig gehänselt hatte, nur wegen
des Namens. Er war kein Brillenträger, kein Stotterer, hatte keine
roten Haare und auch keine O-Beine. Einzig und allein mit seinem
Namen war er schon gestraft genug.
Es war nicht so dass er
nicht Fußball spielen konnte, sie ließen ihn einfach nicht, weil er
Valentin hieß. Lieber hätte er Mark oder Dennis oder Florian
geheißen, wie die anderen, weil, Valentin ließ sich ja nicht einmal
vernünftig abkürzen. Blöd war das, gab sich aber so ungefähr mit
12 oder 13, als die Mädchen etwas romantisches an seinem Namen
entdeckten. Eben weil er nicht hieß wie alle anderen.
Na gut, wenn sie meinten,
dann wurde er eben romantisch, aber erst zwei Jahre später, bis
dahin war es ihm eher peinlich wie sie ihn anschmachteten.
Dann sah er die Blicke der
anderen, die sich an die Körper der Mädchen hefteten die ihre
Blicke wiederum auf ihn richteten und sah seine Chance es ihnen
endlich heim zu zahlen.
Er tat nichts, außer mit
einem Buch oder einem verträumten Blick unter den Bäumen zu sitzen
und zu warten. Kichernde Mädchengruppen umringten ihn in gebührendem
Abstand, stießen sich jedes Mal an wenn er wieder versonnen eine
Seite umblätterte und seine Blicke über den Köpfen schweifen ließ
ohne eine ins Auge zu fassen.
Wieso war das bei den
Mädchen eigentlich anders? Wenn da eine Claire oder Luise hieß,
dann hatte sie gleich viel bessere Karten wegen ihres Namens.
Schließlich war aber eine
der vielen Annas diejenige die er wählte.
Anna hieß eigentlich
Anna-Lena, fand das aber doof, weil drei andere in ihrer Klasse auch
so hießen.
Anna saß oft am Rand,
kicherte selten und las viel, außerdem trug sie eine Brille und
hatte rote Haare. Und wenn sie aufgeregt war bekam sie rote Flecken
am Hals, das fand er niedlich. Die bekam sie auch als er sie
ansprach. Er hatte lange überlegt wie er es anfangen sollte und
sagte dann einfach nur: „Hey, ich bin Valentin.“
Sie sah kaum von ihrem
Buch auf und murmelte, mit roten Flecken am Hals, so etwas wie „Ich
weiß.“
Bis zum ersten Kuss
dauerte es noch eine Weile zwischen ihnen, er unerfahren und sie
schüchtern. Aber mit den Monaten näherten sie sich nestelnd und
fummelnd Haut an Haut. Vom ersten Mal waren sie beide enttäuscht,
sie hatten es sich anders vorgestellt. Wie, konnten sie nicht sagen,
als sie schweigend nebeneinander lagen, eben anders.
Irgendwann war Schluss. An
den Grund konnte er sich nicht mehr erinnern.
Aber die Annas ließen ihn
nicht los. Nicht vom Namen her, aber die schüchternen, stillen.
Wenn sie verlegen den
Blick senkten strich er ihnen die Haare aus dem Gesicht, legte seine
Finger um ihren Nacken und seine Lippen auf ihre. Die Annas mochten
es wenn sie selbst nicht aktiv sein mussten.
Valentin lernte bald wie
man am besten mit ihnen umgehen musste, damit sie weich wurden und
bereit.
Stille Wasser sind tief,
das galt auch für Annas.
Und er lehrte sie das
Eintauchen in ihre Tiefen.
Aus manch einem
schüchternen Anna-Entlein wurde ein stolzer Schwan der seine Runden
in anderen Gewässern zog. Er ließ sie gehen, ganz ohne Bedauern..
Jetzt saß wieder so eine
Anna vor ihm, senkte den Kopf als er sie ansprach und zuckte nur
kurz, fast unauffällig, mit den Schultern als er fragte ob neben ihr
noch frei sei?
Er warf ihr Frage um Frage
vor, zuerst nur stockend, dann steigerte er den Rhythmus, forderte
mehr als nur Ja-Nein-Antworten. Sie ließ sich ein, zuerst auf das
Gespräch und später auf ihn. Die zufälligen Berührungen, sein
Bein an ihrem, die Hand auf ihrem Arm, oder wie zufällig so nah
neben der ihren auf dem Tisch dass sich die Härchen berührten. Er
bestellte Wein, weiß für sie und Roten für sich.
Nach dem dritten
ungewohnten Glas begann sie zu kichern, lehnte den Kopf an seine
Schulter. Jetzt konnte er seinen Griff wagen.
Sie wurde beim Kuss weich
wie ihre warmen Lippen auf seinen.
Nur nicht zu schnell,
nicht alles verderben. Man soll immer aufhören wenn es schön werden
könnte.
Er brachte sie bis vor die
Tür, ganz Gentleman. Sie sagte sie hieße Josy, eigentlich Josefina,
aber das wäre ihr zu gewöhnlich. „Für mich bist du Anna.“
Ein letzter Kuss.
Josy stieg mit heißem
Schoß die Treppe hinauf, lehnte sich selig von innen an die Tür,
umarmte sich selbst und ihr Glücksgefühl. Die Schuhe zog sie im
Gehen aus, ließ den Mantel fallen und dachte unter der Decke noch
lange an ihn und seine Küsse.
Valentin nahm einen Umweg,
die Hände in den Taschen vergraben, den Kopf in Gedanken gesenkt.
Morgen würde er sie wiedersehen.
Er saß auf ihrem Sofa,
gab sich lässig, obwohl sie ihm bereits wichtig war.
Musik rieselte leise über
sie hin. Sie holte Wein und zwei Gläser, schenkte ein, setzte sich
zu seinen Füßen und lehnte den Kopf gegen sein Bein. So ließ das
schüchterne Schweigen sich besser aushalten. Sie lauschten den
Tönen. Seine Hand legte sich in ihr Haar.
Er dachte an einen Mann im
Ledersessel, mit Cognac und Zigarre, der wie nebenbei seine treue
Hündin streichelt.
Sie hatte wie
selbstverständlich ihren Platz gefunden. Ein Gefühl von Wärme und
Vertrautheit zwischen ihm und der fremden Anna, die jetzt wohlig
seufzte und wahrscheinlich die Augen geschlossen hatte.
„Zieh dich aus.“ Die
Worte sprach er leise, als wäre es völlig normal das von ihr zu
fordern.
Sie stand auf, kein
Widerspruch, legte langsam, ohne ein Zögern die Kleidung ab, stand
nackt vor ihm und versuchte sich hinter den schmalen Händen zu
verbergen.
Valentin klopfte mit der
Hand neben sich auf das Polster. „Leg dich hier zu mir.“
Anna, die eigentlich Josy
heißt, liegt jetzt neben ihm, bebt ein wenig weil sie nicht weiß
was sie erwartet. Seine Blicke und Hände wandern über sie. Er
ertastet sie wie ein Blinder der sich alles tief in die Erinnerung
einprägen will.
Eine beklemmende Angst
steigt in ihm auf, dass sie sich unter seinen Händen einfach
auflösen könnte.
Man muss sich seinen
Ängsten stellen, denkt er und schließt die Augen. Er versucht
darauf zu vertrauen dass sie noch da ist wenn er die Augen wieder
öffnet. Das sie noch Anna ist wenn er sie wieder ansieht und nicht
vielleicht doch nur Josy. Sie könnte ihren Zauber verlieren und er
sie, obwohl er ihr so nah ist, sie in Händen hält.
Das wird er nicht
zulassen.
Unbewusst greifen seine
Hände fester zu, damit sie ihm nicht entweichen kann.
Anna – Josy – Anna
scheint das zu gefallen, sie windet sich neben ihm.
Ihm ist das nicht genug,
er will sie näher bei sich, ganz nah, zieht sie auf seinen Schoß.
Ihren Kopf bettet er wie
den eines Kindes in seiner Armbeuge, presst sie fest an seine Brust.
„Keine Angst Anna, meine Anna, ich halte dich, ganz fest.“
Mit geschlossenen Augen
beugt er sich über sie, streicht ihr die Haare hinter das Ohr, mit
den Fingern ihren Hals hinab und ruht in der kleinen Kuhle über dem
Schlüsselbein.
Die Bewegungen ihrer
Gliedmaßen nimmt er nicht wahr.
Dann wird Anna, seine
Anna, ganz still und weich in seinem Arm.