Die Jalousien sind
herunter gelassen, wenig Licht dringt durch die schräg gestellten
Lamellen. Trotzdem ist es viel zu warm im Zimmer.
Sie starrt in die Luft.
Wie lange schon weiß sie nicht mehr. Die Geräusche der Straße
dringen wie aus dem Background zu ihr, ohne einen Sinn zu machen.
Mittagsgeräusche. Kinder
die von der Schule heimkommen, ihren Frust und die angestaute Kraft
heraus lassen. Autotüren die zugeschlagen werden, Hundegebell.
Der eigene Atem erscheint
ihr lauter. Sie atmet regelmäßig, ein und aus, ein und aus.
Das lässt sich kaum
verhindern, man kann nur eine gewisse Zeit überbrücken in der man
den Atem anhält bis irgend etwas wieder einsetzt.
Das Licht zerschneidet den
Raum in gelbe Streifen. Staub bewegt sich wie auf Schienen die
scheinbar im Unendlichen enden. Die Augen folgen den Bewegungen.
Ihr Körper stellt sich
schichtweise dar.
Vielleicht liegt im Zählen
der Streifen und in der Anzahl von Licht und Schatten eine Antwort.
Dazu müsste sie sich
bewegen, wodurch sich wahrscheinlich das Ergebnis verfälschen würde.
Sie betrachtet die
Lichtstreifen die ihren Arm und den Körper diagonal zerschneiden.
Was bliebe wohl übrig
wenn man die einzelnen Schichten trennen und wieder sortiert
zusammensetzen würde?
Beides bliebe
unvollständig, wäre nicht funktionstüchtig, bliebe ohne Mitte.
Aber was würde sie
vermissen wenn man sie in Streifen schneiden würde?
Sie hebt langsam eine Hand
und fährt vom Hals abwärts durch die Streifen, wundert sich dass
dabei kein Geräusch entsteht.
Es klingelt an der Tür.
Sie könnte jetzt aufstehen, müsste dann vielleicht jemanden
hereinlassen der sich über die Dunkelheit wundern würde. Vielleicht
sich sogar ungefragt an den Jalousien zu schaffen machen würde um
Licht herein zu lassen.
Noch einmal die Klingel,
energischer. Sie bleibt sitzen, wie gefangen in den tanzenden
Staubkörnern die sie wie eine Wolke umgeben.
Ein letzter Versuch, das
typische lange Klingeln. Dann ist endlich Ruhe.
Sie will nicht gestört
werden in ihrer trägen Dunkelheit, einfach so weiter mit der
staubigen Luft auf den Gedanken dahintreiben. Vielleicht enden sie
irgendwann.
Sie will allein sein, wenn
sie mit den Fingern immer wieder unter die verschorfte Kruste fährt
um sie Stück für Stück wieder auf zu brechen. Darunter brennt eine
nicht heilen wollende Wunde, pochendes Fleisch, entzündlich rot.
Wenn man mit zwei Fingern auf die schmerzhaft geschwollene umgebende
Haut drückt dann quillt ein brennendes Sekret heraus. Ein Aderlass
für den Schmerz.
Wenn die Taubheit nicht
wäre könnte man ihn beständig fühlen, wie er sich mit jedem
Herzschlag durch den Körper pulsiert, einen langsam aber stetig
ungebremst abwärts in den Wahnsinn treibt.
Die Nervenenden vibrieren
ständig, ruhelos. Jeder Gedanke ein Auslöser damit man nicht
vergisst.
Es scheint als könne man
sich nur mit kochendem Wasser reinwaschen, damit wenigstens die
eigenen Schreie das Schweigen durchbrechen.
Unerträgliche Stille, der
drei Gestalten gegenüber sitzen.
Nichts hören, nichts
sehen, nichts sagen, als könnte man das Vergessen so beschleunigen
und die getretenen Pfade würden einfach wieder zuwachsen.
Nur bleiben Steine auch
dann noch Steine wenn sich eine dicke Schicht Moos auf sie legt, auf
dem man jederzeit abrutschen kann, um mit verdrehten Gelenken keinen
Schritt mehr weiter zu kommen.
Sehnen reißen an Stellen
an denen sie keinen Halt geben, an denen nur sehnen ist.
Wenn das Wasser bis zum
Hals steht bräuchte man nur in die Knie gehen, wenn da nicht irgend
etwas wäre weshalb man sich weiter halbwegs aufrecht durch die zähe
graue Stille schiebt.
Vielleicht gibt es einen
Rand an dem man nicht stürzt, an dem die Steine von unendlich vielen
mühsamen Schritten zu Staub zermahlen sind, der sich warm und weich
durch die Zehen schiebt
Der stete Tropfen höhlt
den Stein, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Etwas krümmt sich unter
solchen Phrasen wie unter der Marter steter Tropfen die immer an der
gleichen Stelle auftreffen und sich beständig zu einem Martyrium des
Lärms auswachsen in dem man verdurstet.
Mit aufrechtem Oberkörper
und langgestrecktem Arm tastet sie mit den Fingerspitzen nach dem
alten Brieföffner. Ein kleiner Messingsäbel, noch scharf wie am
ersten Tag.
Man muss damit nur ganz
zart über das Papier fahren und es zerfällt.
Wieviele Briefe er wohl
schon geöffnet hat die später sorgfältig gefaltet in ihren fast
unversehrt erscheinenden Umschlag zurückgeschoben wurden um in
Schubladen, Kisten und Schränken mit den dazugehörigen Fotos
aufbewahrt zu werden.
Was für Nachrichten hatte
der scharfe Schnitt schon offenbaren müssen?
Wieviele Leben und Träume
waren damit schon seziert worden?
Fast bewegungslos gelingt
es ihr den Ärmel des auf der Lehne ruhenden Arms hochzuschieben. Das
Schattenmuster flimmert ein wenig auf der Haut, beruhigt sich wieder.
Mit der Klinge fährt sie
entlang der Linien. Dünne Blutspuren folgen den Linien, kleine
Tropfen quellen an den Seiten hervor, als würde dort etwas nach
außen dringen wollen.
Nach neun Schnitten ist
sie an der Ellenbeuge angelangt. Neun saubere gerade Linien bis
hinunter zur Hand. Eine Weile sieht sie hin, wartet auf den Schmerz
der sich nicht einstellen will. Waagerecht schiebt sie die Klinge
zwischen die ersten beiden Linien, das Metall ist unter der Haut zu
erkennen. Die Konturen bewegen sich wie ein Fremdkörper von einem
Ende zum anderen.
Schließlich löst sie
vier schmale Hautstreifen von ihrem Arm und legt sie vor sich auf den
Tisch.
So recht weiß sie nicht
was sie damit anfangen wird, auch nicht mit den fleischigen Wunden
auf dem Arm.
Später wird sie sich
vielleicht daran erinnern dass man solche Wunden auch verbinden kann.
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