Montag, 14. Februar 2011

Valentins Tag



Man hätte meinen können er käme irgendwo aus dem Süden oder aus der Vergangenheit, bei dem Namen. Da aber das Gegenteil der Fall war und er im Norden geboren worden war, zwar nicht in der Zukunft, aber in der Gegenwart die nach einer Vergangenheit kam die noch nicht so weit zurück lag, nur knappe drei Jahrzehnte und ein bisschen. Aber genau das war der Grund warum man ihn in der Kindheit ständig gehänselt hatte, nur wegen des Namens. Er war kein Brillenträger, kein Stotterer, hatte keine roten Haare und auch keine O-Beine. Einzig und allein mit seinem Namen war er schon gestraft genug.
Es war nicht so dass er nicht Fußball spielen konnte, sie ließen ihn einfach nicht, weil er Valentin hieß. Lieber hätte er Mark oder Dennis oder Florian geheißen, wie die anderen, weil, Valentin ließ sich ja nicht einmal vernünftig abkürzen. Blöd war das, gab sich aber so ungefähr mit 12 oder 13, als die Mädchen etwas romantisches an seinem Namen entdeckten. Eben weil er nicht hieß wie alle anderen.
Na gut, wenn sie meinten, dann wurde er eben romantisch, aber erst zwei Jahre später, bis dahin war es ihm eher peinlich wie sie ihn anschmachteten.
Dann sah er die Blicke der anderen, die sich an die Körper der Mädchen hefteten die ihre Blicke wiederum auf ihn richteten und sah seine Chance es ihnen endlich heim zu zahlen.
Er tat nichts, außer mit einem Buch oder einem verträumten Blick unter den Bäumen zu sitzen und zu warten. Kichernde Mädchengruppen umringten ihn in gebührendem Abstand, stießen sich jedes Mal an wenn er wieder versonnen eine Seite umblätterte und seine Blicke über den Köpfen schweifen ließ ohne eine ins Auge zu fassen.

Wieso war das bei den Mädchen eigentlich anders? Wenn da eine Claire oder Luise hieß, dann hatte sie gleich viel bessere Karten wegen ihres Namens.
Schließlich war aber eine der vielen Annas diejenige die er wählte.
Anna hieß eigentlich Anna-Lena, fand das aber doof, weil drei andere in ihrer Klasse auch so hießen.
Anna saß oft am Rand, kicherte selten und las viel, außerdem trug sie eine Brille und hatte rote Haare. Und wenn sie aufgeregt war bekam sie rote Flecken am Hals, das fand er niedlich. Die bekam sie auch als er sie ansprach. Er hatte lange überlegt wie er es anfangen sollte und sagte dann einfach nur: „Hey, ich bin Valentin.“
Sie sah kaum von ihrem Buch auf und murmelte, mit roten Flecken am Hals, so etwas wie „Ich weiß.“
Bis zum ersten Kuss dauerte es noch eine Weile zwischen ihnen, er unerfahren und sie schüchtern. Aber mit den Monaten näherten sie sich nestelnd und fummelnd Haut an Haut. Vom ersten Mal waren sie beide enttäuscht, sie hatten es sich anders vorgestellt. Wie, konnten sie nicht sagen, als sie schweigend nebeneinander lagen, eben anders.
Irgendwann war Schluss. An den Grund konnte er sich nicht mehr erinnern.
Aber die Annas ließen ihn nicht los. Nicht vom Namen her, aber die schüchternen, stillen.
Wenn sie verlegen den Blick senkten strich er ihnen die Haare aus dem Gesicht, legte seine Finger um ihren Nacken und seine Lippen auf ihre. Die Annas mochten es wenn sie selbst nicht aktiv sein mussten.

Valentin lernte bald wie man am besten mit ihnen umgehen musste, damit sie weich wurden und bereit.
Stille Wasser sind tief, das galt auch für Annas.
Und er lehrte sie das Eintauchen in ihre Tiefen.
Aus manch einem schüchternen Anna-Entlein wurde ein stolzer Schwan der seine Runden in anderen Gewässern zog. Er ließ sie gehen, ganz ohne Bedauern..


Jetzt saß wieder so eine Anna vor ihm, senkte den Kopf als er sie ansprach und zuckte nur kurz, fast unauffällig, mit den Schultern als er fragte ob neben ihr noch frei sei?
Er warf ihr Frage um Frage vor, zuerst nur stockend, dann steigerte er den Rhythmus, forderte mehr als nur Ja-Nein-Antworten. Sie ließ sich ein, zuerst auf das Gespräch und später auf ihn. Die zufälligen Berührungen, sein Bein an ihrem, die Hand auf ihrem Arm, oder wie zufällig so nah neben der ihren auf dem Tisch dass sich die Härchen berührten. Er bestellte Wein, weiß für sie und Roten für sich.
Nach dem dritten ungewohnten Glas begann sie zu kichern, lehnte den Kopf an seine Schulter. Jetzt konnte er seinen Griff wagen.
Sie wurde beim Kuss weich wie ihre warmen Lippen auf seinen.
Nur nicht zu schnell, nicht alles verderben. Man soll immer aufhören wenn es schön werden könnte.
Er brachte sie bis vor die Tür, ganz Gentleman. Sie sagte sie hieße Josy, eigentlich Josefina, aber das wäre ihr zu gewöhnlich. „Für mich bist du Anna.“
Ein letzter Kuss.

Josy stieg mit heißem Schoß die Treppe hinauf, lehnte sich selig von innen an die Tür, umarmte sich selbst und ihr Glücksgefühl. Die Schuhe zog sie im Gehen aus, ließ den Mantel fallen und dachte unter der Decke noch lange an ihn und seine Küsse.
Valentin nahm einen Umweg, die Hände in den Taschen vergraben, den Kopf in Gedanken gesenkt. Morgen würde er sie wiedersehen.


Er saß auf ihrem Sofa, gab sich lässig, obwohl sie ihm bereits wichtig war.
Musik rieselte leise über sie hin. Sie holte Wein und zwei Gläser, schenkte ein, setzte sich zu seinen Füßen und lehnte den Kopf gegen sein Bein. So ließ das schüchterne Schweigen sich besser aushalten. Sie lauschten den Tönen. Seine Hand legte sich in ihr Haar.
Er dachte an einen Mann im Ledersessel, mit Cognac und Zigarre, der wie nebenbei seine treue Hündin streichelt.
Sie hatte wie selbstverständlich ihren Platz gefunden. Ein Gefühl von Wärme und Vertrautheit zwischen ihm und der fremden Anna, die jetzt wohlig seufzte und wahrscheinlich die Augen geschlossen hatte.
Zieh dich aus.“ Die Worte sprach er leise, als wäre es völlig normal das von ihr zu fordern.
Sie stand auf, kein Widerspruch, legte langsam, ohne ein Zögern die Kleidung ab, stand nackt vor ihm und versuchte sich hinter den schmalen Händen zu verbergen.
Valentin klopfte mit der Hand neben sich auf das Polster. „Leg dich hier zu mir.“

Anna, die eigentlich Josy heißt, liegt jetzt neben ihm, bebt ein wenig weil sie nicht weiß was sie erwartet. Seine Blicke und Hände wandern über sie. Er ertastet sie wie ein Blinder der sich alles tief in die Erinnerung einprägen will.
Eine beklemmende Angst steigt in ihm auf, dass sie sich unter seinen Händen einfach auflösen könnte.
Man muss sich seinen Ängsten stellen, denkt er und schließt die Augen. Er versucht darauf zu vertrauen dass sie noch da ist wenn er die Augen wieder öffnet. Das sie noch Anna ist wenn er sie wieder ansieht und nicht vielleicht doch nur Josy. Sie könnte ihren Zauber verlieren und er sie, obwohl er ihr so nah ist, sie in Händen hält.
Das wird er nicht zulassen.

Unbewusst greifen seine Hände fester zu, damit sie ihm nicht entweichen kann.
Anna – Josy – Anna scheint das zu gefallen, sie windet sich neben ihm.
Ihm ist das nicht genug, er will sie näher bei sich, ganz nah, zieht sie auf seinen Schoß.
Ihren Kopf bettet er wie den eines Kindes in seiner Armbeuge, presst sie fest an seine Brust. „Keine Angst Anna, meine Anna, ich halte dich, ganz fest.“
Mit geschlossenen Augen beugt er sich über sie, streicht ihr die Haare hinter das Ohr, mit den Fingern ihren Hals hinab und ruht in der kleinen Kuhle über dem Schlüsselbein.
Die Bewegungen ihrer Gliedmaßen nimmt er nicht wahr.
Dann wird Anna, seine Anna, ganz still und weich in seinem Arm.