Samstag, 4. Februar 2012

Ohrwurm



Wann es zum ersten Mal dagewesen ist weiß ich gar nicht mehr so genau.
Irgendwann ist es aufgetaucht. Zuerst war es ganz leise, kaum wahrnehmbar. Es war auch nur gelegentlich zu hören.
Mehr als ein kurzes Aufhorchen habe ich ihm nie gewidmet, um es sogleich als Irrtum wieder abzutun. Ich habe die Stirn beim Lauschen gerunzelt und einen Moment später unwillig mit dem Kopf geschüttelt.
Aber es wurde immer beharrlicher, hielt immer ein paar Sekunden länger an.
Es war schwer zu lokalisieren.

Zuerst kam es aus der Ecke hinter dem Sofa.
Ich habe alle Kissen beiseite geräumt, das Sofa nach vorn gerückt. Da war nichts, nicht die geringste Spur.
Dann tauchte es hinter dem Schrank wieder auf.
Ich öffnete die Türen, räumte alle Fächer und Schubladen aus. Ruhe. Ich ließ alles so wie es war, stapelte Papiere und Geschirr auf dem Tisch und horchte jedes Mal im Vorbeigehen ob es wieder zurück gekommen war.
Manchmal, ganz leise, hörte ich es, aber es entglitt mir immer wieder. Bis ich schließlich genug hatte davon, den Schrank komplett ausräumte und ihn von der Wand zog.
Außer ein paar Flusen, die nun wirklich keine Geräusche machen, fand ich nichts.
Den Schrank ließ ich schräg im Raum, einen halben Meter vor der Wand, stehen. Nur für den Fall.
Ich legte, oder besser stellte mich auf die Lauer. Kurz bevor die Dunkelheit sich des Raumes bemächtigte stand ich oft minutenlang an der Seitenwand des Schranks und wartete mit flachem Atem. Ich war fest entschlossen mich mit dem nassen Tuch in meiner Hand darauf zu stürzen sobald es sich wieder bemerkbar machen würde, ganz egal was es sein würde. Aber es kam nicht wieder.
Vielleicht hatte ich es ja mit meiner Wachsamkeit und dem Aktionismus verscheucht?

Nach einer Weile entspannte ich mich wieder etwas und hätte es fast vergessen können, wenn ich den Schrank wieder eingeräumt und an seinen Platz geschoben hätte.
Ich ließ die Musik etwas lauter spielen und pfiff jedes Mal die Melodie mit wenn ich in die Nähe von Schrank oder Couch kam.
Eines abends saß ich lesend im Sessel im Lichtkreis meiner schummrigen Leselampe.
Ich faltete die Seiten zusammen, ließ den Zeigefinger dazwischen liegen und lauschte. Ruhe, kein einziges Geräusch.
Wissen Sie wie beunruhigend vollkommene Stille in solchen Momenten sein kann?
Ich klappte das Buch wieder auf und versuchte mich summend auf die Zeilen zu konzentrieren, bis ich es aufgab, das Buch beiseite legte, das Licht löschte und ins Bett ging.

Ich kroch zwischen die kalte Baumwolle von Kissen und Decke, zog mir die Decke bis über die Schultern und wartete darauf dass mein Körper seine Wärme darunter um mich ausbreiten würde. Die Müdigkeit rückte ein wenig näher an mich, schlang ihre Arme um mich und ließ die Lider vor das Vergessen fallen wie schwere Vorhänge in einem alten Theater.

Es war ein Traum, bestimmt war es nur ein Traum, ich war mir fast sicher.
Es raschelte, kratzte und trippelte direkt unter mir. Zwischen dem Koffer mit den alten Fotos und den Kartons mit den Schuhfehlkäufen.
Meine Augen starrten unbewegt in die Dunkelheit. Ich folgte den Bewegungen. Hin und her und wieder zurück. Es wurde lauter wenn es an den Rand kam und auf dem Weg war unter dem Bett hervor zu kommen. Dann stoppte es kurz und wandte sich geschäftig wieder zurück, als hätte es dort noch etwas vergessen.
Wie lange ich so lag und lauschte weiß ich nicht mehr. Aber irgendwann war es wohl eingeschlafen, oder ich.
Am nächsten Morgen stand ich auf als wäre nichts gewesen, schüttelte Kissen und Decke auf und öffnete das Fenster. Vielleicht hatte ich es ja auch vergessen, oder wollte mich einfach nicht erinnern.

Ich hatte viel zu tun an diesem Tag und am Abend hatte ich es tatsächlich vergessen, bis es mich wieder einholte. Gerade als ich die Augen schließen wollte war es wieder da.
Wieder dieses geschäftige Treiben, direkt unter mir, als müsste ich nur mit einer Hand unter das Bett greifen wenn es sich wieder an den Rand bewegte und kurz bevor es wieder umkehrte könnte ich zupacken, es mit angeekeltem Gesicht hervor ziehen und es einfach in die Toilette werfen, ohne hin zu sehen, und dann die Spülung betätigen.
Aber wie würde es sich anfühlen? Pelzig, schalig, beinig? Vielleicht würde es nach mir schnappen oder sich in einem Finger festbeißen.
Vorsichtig und bemüht geräuschlos ließ ich einen Arm unter der Decke hervorgleiten, suchte nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe und atmete noch einmal durch bevor ich das Licht anschaltete. Ruhe.

Ich wartete eine Weile, lauschte. Aber es blieb still. Sicher hatte ich es erschreckt.
Wahrscheinlich würde es jetzt vor lauter Schreck für den Rest der Nacht Ruhe geben und ich könnte endlich schlafen.
Ich löschte das Licht wieder und es blieb ruhig. Es war nichts zu hören außer meinem eigenen Atem.
Ich zog die Decke ein wenig fester um die Schultern, seufzte und beschloss mich am nächsten Morgen darum zu kümmern.
Dann war es wieder da. Es krabbelte weiter, jetzt noch hektischer als vorher, als müsste es jetzt die eben versäumte Regsamkeit nachholen. Wieder schaltete ich das Licht an, wieder war Stille. Warten. Licht aus, warten. Und es wurde noch hektischer als zuvor. Licht an, Ruhe. Licht aus, Hektik.
Ich hatte die Idee es vielleicht auf diese Art und Weise in den Wahnsinn zu treiben und am nächsten Morgen würde es tot unter dem Bett liegen. Vor Erschöpfung verendet.
Allerdings war ich dazu selbst viel zu müde und irgendwann übermannte mich der Schlaf und das Licht brannte bis zum nächsten Morgen.

Ich war es leid mich um meine wohlverdiente Nachtruhe bringen zu lassen, wovon auch immer und stülpte die gelben Gummihandschuhe über bevor ich mich daran machte alles unter dem Bett hervor zu ziehen.
Ich putze die Kartons und den Koffer mit einem feuchten Lappen, befreite sie von allem Staub. Fuhr mit dem Staubsauger auch bis in die letzte Ritze und ging das Risiko ein mir das Parkett zu ruinieren, weil ich mit viel heißem Wasser unter dem Bett aufwischte. Nacheinander versprühte ich Insekten- und Desinfektionsspray und leuchtete zum Schluss mit einer Taschenlampe alles ab.
Koffer und Kartons verstaute ich auf dem Schrank, nicht ohne dort vorher auch noch gründlich zu putzen.
Egal was sich dort bewegt hatte, es hatte definitiv nicht überleben können und ich hatte ihm jegliche Möglichkeit genommen sich dort zu verkriechen.

Am Abend freute ich mich auf meine ungestörte Nachtruhe, kuschelte mich ein und wartete auf den Schlaf. Aber er wollte nicht kommen, wahrscheinlich wartete ich vielmehr auf die Rückkehr des Geräusches, oder vielmehr darauf dass es nicht zurück kommen würde. Aber wie kann man ein nicht vorhandenes Geräusch nicht hören?
Ich schaute noch einmal auf die Leuchtziffern meines Weckers, da war es bereits 2.13 Uhr und ich lauschte schon über drei Stunden.
Dann muss ich wohl doch eingeschlafen sein, denn als ich wieder aufwachte und auf die Ziffern sah leuchtete es mir rot 4.27 Uhr entgegen.
Und es war wieder da. Hektischer und lauter als in den Nächten vorher. Vielleicht weil ich ihm seine Versteckmöglichkeiten genommen hatte. Oder ich hatte ihm etwas genommen dass ihm wichtig war. Vielleicht war es der Koffer mit den Fotos? Vielleicht würde es ja Ruhe geben wenn ich jetzt aufstehen würde, den Koffer vom Schrank holen würde und ihn wieder zurück unter das Bett schieben würde.
Aber ich traute mich nicht aufzustehen und die Füße vor dem Bett auf den Boden zu setzen. Was, wenn es jetzt so wütend wäre dass es mich beißen würde?
Mir bleib nichts anderes übrig als es wieder mit dem Licht zu erschrecken.
Es hörte zwar nicht ganz auf, aber es schien irgendwie besänftigt und war nur noch gelegentlich zu vernehmen. So als würde jemand neben einem liegen der von etwas aufregendem träumt.
Ich ließ das Licht brennen und versuchte trotzdem noch ein wenig unruhigen Schlaf zu bekommen.

Am Tag hatte ich das Gefühl etwas zu hören jedes Mal wenn ich an der Schlafzimmertür vorbeiging.
Ich öffnete die Tür einige Male vorsichtig und leise, bückte mich weit genug um unter das Bett sehen zu können, nur um zu sehen dass dort nichts war.

Abends überlegte ich kurz ob ich mein Nachtlager nicht auf das Sofa verlegen sollte. Aber so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben, denn schließlich war das mein Schlafzimmer, mein Bett und scheinbar auch mein Geräusch.
Wie ich leider feststellen musste als ich wieder im Bett lag.

Aber jetzt war es scheinbar nicht mehr allein. Es waren mehr Beine, Füße, Pfoten, worauf auch immer sich das unter meinem Bett bewegte.
Und sie hörten auch nicht auf sich zu bewegen als ich das Licht anmachte. Im Gegenteil sie wurden immer mutiger. Schabten jetzt auch an den Beinen des Bettes und hangelten sich am Lattenrost unter mir entlang.
Ich setzte mich im Bett auf, hieb mit den Fäusten auf die Matratzen, schimpfte, bettelte und flehte. Nichts half, sie machten munter weiter mit ihren schabenden, krabbelnden Geräuschen, als wäre es ihre Welt und nicht meine.
Ob ich in dieser Nacht überhaupt geschlafen habe? Ich weiß es nicht, nur dass ich die Nacht im Bett sitzend verbracht habe, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und den Kopf auf den Knien, bis es endlich wieder Tag wurde.

Kennen Sie das auch, wenn ein Geräusch einen den ganzen Tag über begleitet als käme es direkt aus dem eigenen Kopf?
Aber unter meinem Bett ist jetzt Ruhe.
Nur manchmal muss ich mir ein paar Büschel Haare ausreißen, dann wird es wieder etwas ruhiger.

Montag, 9. Januar 2012

Januarmond

Taghell die Nacht
Kreaturen schleichen
auf leisen Schalen
über nächtliche Felder
eine Stimme säuselt
dicht hinter mir
bis hinein in den Schlaf
wiegt mich dort eine Weile
in träumender Sicherheit


bis


ein Schrei
in mich fährt
durch mich hindurch
aus mir heraus

keuchend
krieche ich
zurück
unter die Federn


Donnerstag, 5. Januar 2012

moonwalk


im Kreis
die Wände hinauf
hinunter
mit dem Kopf durch
die Wände
werden enger

im Kreis
Rache
Gelüste
Gier
Lust
Eifer
Sucht
im Kreis

Luft
atmen
frei
im Kreis
im Kreis
im Kreis