Sonntag, 28. November 2010

Traum im Traume

Mein Herz,
du schlägst mich
nicht mehr
Mein Herz,
du schlägst nicht mehr
für mich
Mein Herz schlägt
nur für dich

Wir tanzten die Sterne,
kämpften die Träume
die Treppe hinab
Jetzt tanz ich ohne dich
in sternenlosen Träumen
haltlos
am Fuße der Treppe

Was war, ein Traum?
Was ist, ein Traum?
Ein Traum im Traum im Traum?
Zerschlagen
was bleibt
ein Tanz in den Scherben



Yet if hope has flown away
In a night, or in a day,
In a vision, or in none,
Is it therefore the less gone?
All that we see or seem
Is but a dream within a dream.

All that we see or seem
Is but a dream within a dream.
E.A. Poe



Freitag, 26. November 2010

Verhör


Sprich“, seine Stimme ist kurz davor sich zu überschlagen, so laut donnert sie ihr entgegen. Ein kurzes Räuspern. Am Zopf reißt er ihren Kopf in den Nacken dass es zwischen den Wirbeln knirscht. Das Gesicht ganz nah an ihrem. Winzige Speicheltropfen zischen ihr ins Gesicht. „Los jetzt!“
Er tritt gegen den Stuhl. Sie knallt mit dem Kopf an die Wand. Ein Summen im Schädel hallt eine Weile nach.
Hinter ihrem Rücken greift er nach den Handschellen, bringt sie auf die Füße und vor dem Eimer zum knien. Sie hält dagegen als seine Hand sich um ihren Nacken schließt und den Kopf nach unten drücken will, trifft mit dem Jochbein auf den blechernen Rand des Eimers. Der Schmerz lässt sie im falschen Moment einatmen. Im Spiegel des Wassers sieht sie sich selbst in die Augen. Die Angst scheint greifbar zu sein.
Den Kopf unter Wasser legt sich ein dumpfer Film über alles.
Sie hört und fühlt alles wie durch einen Filter. Eine Weile kämpft sie dagegen an, dann folgt die Starre der Panik.
In ihrer zweigeteilten Welt wird er sie gleich atmen lassen. Sie ist sicher.
Ihre Augen öffnen sich. Zuversicht die sie fühlt. Der Grund des Eimers bewegt sich in sanften Wellenbewegungen, von ihrer Wange zieht ein dünnes Rinnsal Blut durch das Wasser und fasert sich auf.
Gleich wird sie atmen müssen.

Mittwoch, 17. November 2010

fallenlassen


Ihre Stimme überschlägt sich kreischend. Eine Mischung aus Hilferufen und unartikuliertem Geschrei. Ihre Hände kämpfen greifend und krallend um Halt. Sie schlägt nach allem was sich bietet, als hätte sie Pranken oder Klauen.
Lächelnd steht er über ihr, sieht ihr in die Augen und beugt sich zu ihr herunter.
Sein sanftes langgezogenes „Sch...“ beruhigt sie nur Sekundenbruchteile.
Sie harrt aus, hält still, hofft für diesen einen Moment.
Seine Hand streicht ihr durchs Haar.
Gnade“ wimmert sie, senkt dabei den Blick.

Formvollendet, denkt er bei dem Anblick, wenn sie jetzt so vor mir stehen könnte.
Gerade gibt sie mir wirklich alles, nur bedingungslos ist auch das wieder nicht.
Sie schenkt sich mir nicht, nicht so vollkommen wie ich es gerne hätte.
Aber ich nehme mir was ich will, auch wenn es nicht die Vollendung ist. Nicht einmal nahe dran, nur die Illusion der Vollkommenheit.
Er weiß, oder ahnt es, gleich wird sie auch diese Illusion noch zerstören.

Seine Hand zieht sich ruhig zurück, streicht ihr über die Arme, die Hände.
Langsam beginnt er einen Finger nach dem anderen von dem Eisengestänge zu lösen.

Donnerstag, 11. November 2010

Heim - weg


Der Hof steht auf einer leichten Anhöhe und ist in dem flachen Land schon weithin sichtbar. Es wird noch ein paar Minuten dauern bis sie dort ist, Zeit zum atmen, sich einfinden in die Stimmung.
Herbstliche Schauer und Sonnenschein haben sich zu einem Regenbogen vereinigt, der aus ihrer Sicht seinen Anfang direkt über dem Hof zeigt. Wie ein Energiestrom ragt er als ausgefranstes Ende in den Himmel. Es ist nur nicht zu erkennen, ob die Energie hinein oder heraus fließt. Ihr Optimismus ist situationsbedingt begrenzt, sie sieht den Regenbogen eher als einen großen Saugrüssel, der die Energien nicht nur herausfließen lässt, sondern sie unter großem Druck abzieht. Täglich ist weniger davon vorhanden, mit jedem Gespräch, jedem Wort, jedem verächtlichen Blick wird es kälter.
Eingelullt von jahrelanger Vertrautheit waren ihnen die schleichenden Veränderungen kaum aufgefallen oder sie hatten sie einfach hingenommen. Reste von allem was nötig ist um eine Existenz zu berechtigen waren ja noch vorhanden. Aber es schwächelte und das nicht erst seit kurzem. Beiläufige Berührungen, gefühlstote Küsse und Pflichterfüllung statt Begehren.
Um die Vertrautheit hatten sie einst gekämpft, sich zueinander durchgerungen und die gratigsten Kanten abgeschliffen damit sie sich und einander aushalten konnten. Nicht so sehr, dass sie nicht hin und wieder aneinander hängenblieben und sich reiben konnten. Aber irgendwann waren sie wie Kiesel im Meer, die nach jahrelangen Wellen rundgeschliffen sind und träge im Sand liegen bleiben, nachdem die letzte Welle sie mit einer rollenden Bewegung an Land gespült hat.
Sie rutschten einfach aneinander ab, wie eine Hand die auf eine Schulter gelegt wird und im nächsten Schritt unbemerkt abgleitet. Eine unbewusste Geste, die bei genauerer Betrachtung die zweisame Einsamkeit in den Vordergrund zerren kann.
Die Gleichgültigkeit schwappte in Wellen über sie hinweg und jetzt drohten sie darin zu ertrinken. Gerade jetzt, wo sie versuchten sich über Wasser zu halten.

Die letzten Meter Landstraße, der Blinker gibt bereits den Takt an, ein halbherziger Versuch mit dem rhythmischen Klacken das Geräusch des Regens auf dem Blech zu übertönen. Der Regenbogen hat sich im grau des Himmels aufgelöst. Sandiger Kies täuscht ein Gefühl von vertrauter Umgebung vor. Der immer gleiche Weg hat eine Fahrspur in den Boden gedrückt, aus der es kaum ein Entkommen gibt, wie eine Schiene die den direkten Weg vorgibt. Kein Ausweichen möglich.
Der Hofhund schleppt sich keuchend ein paar Meter vorwärts und verharrt mit gesenktem Kopf und hängender Rute ausdruckslos im Regen. Selbst er scheint sich den Gegebenheiten angepasst zu haben. Alt und krank harrt er auf eine Lösung, aber niemand scheint sich zuständig zu fühlen. Vielleicht weil er ein Erbstück des verstorbenen Vorbesitzers war und niemand gelernt hat ihn zu lieben. Es fehlt das Stückchen erlebter jugendlicher Übermut, der ihn einst liebenswürdig erscheinen ließ. Irgendwie war er immer ein alter Hund, distanziert und leicht griesgrämig, nur auf seine Aufgabe fixiert einfach präsent zu sein.
Sie nutzt den Schauer um noch ein wenig Ordnung in die angesammelten Gedanken zu bringen. Ein Stapel für die Erkenntnisse des Tages, die sich vielleicht schon wieder in Luft aufgelöst haben, sobald ihr Gegenpart ausgesprochen wird.
Ein Stapel mit resultierenden Fragen und ein kleiner aufgestauter Rest an unauflösbaren Vorwürfen.
Der Regen gibt ein wenig nach und sie hastet quer über den Hof ins Haus, als hätte sie es eilig.
Der alte Kachelofen der halb in die Diele ragt kann mit seiner bulligen Wärme die Kälte im Haus nicht vertreiben. Seine Hitze erreicht das innerliche Frösteln nicht. Das morgendliche Anheizen gehört zu den Ritualen, mit denen sie sich hinweggetäuscht haben, ebenso wie der erste schweigsame Kaffee gemeinsam am Küchentisch.

Wann war dieses Schweigen eingezogen und wann war es so laut geworden, dass es unüberhörbar wurde?
Eingezogen war es sicherlich schleichend, unbemerkt. Bis es vor einigen Wochen mit einem lauten Knall mitten in sie hinein gebrochen war.
Plötzlich hing dieses Wort im Raum -Betrug-, zuerst nur als Verdacht, dann als Bestätigung. Eine Beichte die das schwelende Gewissen beruhigen sollte, aber eine Feuersbrunst an Gefühlen heraufbeschwor. Eigentlich unnötig, weil schon Jahre dazwischen lagen.
Betrug – nur das nichts trägt hinter diesem Wort. Es ist eher ein Fall ins Bodenlose, schleudert jeden Glauben, jedes Versprechen in den Dreck.
Die Unverwundbarkeit bekommt einen Riss, wie eine klaffende Wunde, aus der zäher, gelber Eiter sickert und die Lücke zwischen ihnen füllt.

Der Anlass eine beiläufig erwähnte Hochzeitsanzeige in der Zeitung.
Seine Antwort, ein lapidar in den Raum geworfenes „Wusstest du eigentlich dass ich mal etwas mit ihr hatte?“
Eine lächelnde Verneinung, im Glauben an die Zeit vor ihrer Zeit und dann die Erkenntnis. „Ich dachte du hättest etwas bemerkt, damals.“
Damals war fünf Jahre her, da steckten sie mitten in der Renovierung des Hofes und ihr war kaum klar, wie er daneben noch die Zeit gefunden hatte. Gefühlt hatten sie zu der Zeit jede freie Minute miteinander verbracht. Es gab die üblichen Baustellenreibereien die es zwischen Paaren gibt. Ob die Toilette besser schräg oder rechtwinklig steht. Ob die Idee mit der offenen Küche tatsächlich wegen der störenden tragenden Wand der Stabilität des Hauses geopfert werden musste und welche Farben schließlich für die Wände gewählt werden.
Manchmal gerieten sie mit ihren Kräften und Argumenten an Grenzen, aber größere Schäden blieben aus, zumindest offensichtlich.
Bis zu seinem späten Geständnis.

Als seine Worte in ihr Bewusstsein drangen spürte sie einen Schnitt der mitten in das Fleisch ihrer Beziehung geriet. Nur nicht mit dem leisen Knirschen, mit dem man mit einem Skalpell in lebendiges Fleisch schneidet, sondern wie mit einem stumpfen Messer in eine tote Schwarte, die das darunter liegende tote Fleisch bedeckt.
Jetzt sezierten sie an den Resten ihrer Liebe, schwer bewaffnet mit Worten auf der Suche nach Gründen und Ausflüchten.
Drei Monate vor fünf Jahren, in denen sie an Nähe geglaubt hatte und er unbemerkt weit von ihr abgerückt war.
Sie, verletzt von seinem Geständnis und ihrer eigenen Blindheit, und er durch ihr Eingeständnis ihn nicht einmal in Verdacht gehabt zu haben.
Manche Sätze rissen tiefe Narben und verschütteten die Irrtümer guter Erinnerungen.
Oft schleppten sie sich am späten Abend wie zwei Schwerverletzte unter die Decken. So viel Abstand wie nur möglich zwischen sich lassend, lag jeder an seinem Rand und nahm eher einen Absturz als eine kleine Geste der Zuwendung in Kauf.
Die Schuldfrage ließ sich nicht eindeutig klären, weil damals keine ausreichenden Gründe vorgelegen hatten. Das war es auch, was es für sie umso unerträglicher machte. Wenn es einen Grund gegeben hätte, dann hätte man ihn bewegen können und das Verzeihen irgendwo an ihm aufhängen können. Aber so blieb alles in der Luft die sich kaum mehr atmen ließ, wenn beide im selben Raum waren, weil zu viele giftige Gedankendämpfe darin waberten. In jedem Blick lag eine Anschuldigung auf der Lauer. Was würde wohl als nächstes hervorkriechen und seine hässliche Fratze zeigen?
Das Schweigen zwischen ihnen war gebrochen und forderte seinen Preis. Sie wechselten keine Worte, sondern schleuderten sie sich zu, manchmal hasserfüllt und verletzt. Alles kam mit in die Waagschale, die ganze Gleichmütigkeit aus der sie ihre Sicherheit gezogen hatten. Eine Sicherheit die ihnen jetzt schon fast unanständig vorkam, weil sie, außer den täglichen Ritualen, so wenig dafür geleistet hatten.
Die Alternativen würden sie demnächst voreinander ausbreiten.
Mit schlecht heilenden Verletzungen getrennte Wege gehen oder in dem ganzen chaotischen Wirrwarr aus widersprüchlichen Gefühlen auf den Parallelen wieder zueinander finden und sich vorsichtig gegenseitig die Wunden lecken um es besser zu machen. Der Wille zur Besserung wäre eine der Grundvoraussetzungen um wieder zum Leben zu erwecken, was jetzt mehr tot als lebendig in der Ecke lag und ums Überleben kämpfte.
Der Ausgang des ganzen war die unbekannte Größe mit der sie jonglierten.
Vielleicht war es am einfachsten mit dem schlimmsten zu rechnen um es sich immer wieder vor Augen zu führen um einen Schritt nach dem anderen davor zurück zu weichen.
Vielleicht war aber auch nur ein letzter klarer Schnitt die einzig mögliche Lösung.

An der Garderobe hängt ihre tropfende Jacke, darunter zwei kleine Wasserlachen auf dem Boden.
Sie sitzen sich in der Küche am Tisch gegenüber, halten sich fest am heißen Kaffee.
Sein Blick richtet sich auf sie und ein Arm schiebt sich langsam in ihre Richtung. Sie sieht es kommen, ohne es verhindern zu können. Die Hand legt sich in einer beschwichtigenden Geste auf ihren Unterarm. Darunter wird ihr kalt, sie hört auf zu atmen, sieht nur auf die Hand und weiß, dass sie das und ihn nicht mehr aushalten kann.

Mittwoch, 10. November 2010

Renes Revolution

Rene sitzt am Tisch zwischen den anderen und monologisiert, wie immer. Er hört sich gerne reden, dafür hört er nicht so gerne zu wenn jemand anderes etwas zu sagen hat.
Er hält sowieso nur seine Meinung für wichtig genug sie kund zu tun. Die anderen haben doch keine Ahnung, keinen Durchblick, wissen nichts von den wahren Hintergründen, sind nur oberflächlich informiert.
Aufklärung ist nötig, Meinungsbildung, seine Meinung.
Kein Thema zu dem er nichts zu sagen wüsste, sobald jemand ein Bröckchen in die Runde wirft. Rene schnappt danach. Wirtschaft, Politik, Religion, Krieg, alles hängt zusammen, alles verwoben, der ganze korrupte Dreck, den nur ganz wenige Auserwählte wirklich durchblicken, weil sie sich die Mühe machen hinter die Fassaden zu blicken. Aufräumen müsste man da mal und alles auf Null setzen und ganz von vorne anfangen. Dann würde es wieder gerechter werden und sauberer.
Aber es geht ja keiner mit von den faulen Säcken. Eine Revolution müsste mal wieder her, so wie früher. Ganz gleich ob friedlich oder mit Gewalt, nur es muss sich was ändern.

Rene trinkt Roten, weil das so üblich ist unter seines gleichen. Bier ist was fürs Proletariat. Bier macht tumb und dumm und träge dicke Bäuche. Daran erkennt man die Dummen, an ihren Bierbäuchen. Auch solche Sätze predigt er.
Und Rene träumt davon sie alle auf seine Seite zu ziehen, auch die bierbäuchigen.
Dass sie es endlich alle einsehen und mitgehen, wenn die Revolution kommt.
Den Wein trinkt er aus Gläsern. Nur die Kellnerin weiß am Ende wieviele es am Abend waren und dass es immer der billige ist.
Die anderen versuchen anfangs noch mitzuhalten, anzuknüpfen, in eine Atemlücke seiner Monloge zu schlüpfen, bis er ihnen wieder seine Wortflut überstülpt. Eine Weile heucheln ihre zugewandten Blicke noch höflich gelangweiltes Interesse, bis jeder froh ist, wenn sich irgendwo am Tisch ein Gesprächsfetzen aufschnappen lässt in den man sich einklinken kann. Aber das hindert ihn nicht. Er redet bis zum letzten Opfer, das meist dicht neben ihm sitzt und die Rituale noch nicht kennt.

Der Abend wird lang, das Gelächter lauter. Die anderen lachen, nur Rene wartet redend darauf, dass endlich jemand mitkommt und Revolution mit ihm macht, so wie damals in Frankreich.
Ja, die Franzosen, die hattens drauf, auch wenn damals Köpfe gerollt sind. Abgeschlagen von der Guillotine rollten sie dem Volk vor die Füße, die Verräterköpfe. Nicht immer war die Schneide scharf genug für einen sauberen Schnitt. Manchmal hingen Haut und Adern in Fetzen. Vive la France, es lebe die Revolution, skandiert er zu vorgerückter Stunde mit geschwollener Zunge, als wäre er damals dabei gewesen.
Ja, Paris, die Stadt der Liebe. Das wäre ein Leben, die Baskenmütze schräg auf dem Kopf, da Baguette unter dem Arm und der Sex wäre immer französisch. Ab einem gewissen Pegel kann Rene auch mal zotig sein und den Damen mit französischen Akzent Schweinereien zuflüstern. Dabei amüsiert er sich prächtig, lacht laut und klopft sich auf die Schenkel. Ein Zustand der vorübergeht, fast unbemerkt bekommt er dann etwas weinerliches und sinniert über die Liebe.
Die Liebe des Lebens, den Sinn und Zweck und die Liebe überhaupt.
Philosophisch müsste man das Thema angehen, meint er. Ob man immer nur einen Menschen lieben kann oder ob wir nicht doch alle nur treulose Polygamisten seien, die sich der gesellschaftlichen Moral nur aus geheuchelter Anständigkeit unterwerfen.
Und was ist das überhaupt, Liebe. Ein unerklärliches Gefühl, dass einen nur weich macht und einen doch immer wieder leiden lässt und Misstrauen sät. Und überhaupt wäre es doch ganz egal welchem Geschlecht man sich dabei zuwendet. Wahre Liebe kennt solche Grenzen nicht.
Hier räkeln sich meist die Männer ein wenig peinlich berührt.Ob der Rene wohl schwul ist, oder zumindest bi. Man weiß es ja nicht, man sieht ihn ja nie mit einer.
Vielleicht ist er ja so ein heimlicher und nach dem nächsten Roten kommt sein besoffenes Outing.
Aber nein, Enttäuschung macht sich breit, wieder keine Sensation. Rene schwärmt von all den verflossenen Lieben in seinem Leben. Lange her, aber wirklich geliebt hat er sie alle, jede auf ihre Weise. Wenn einer die Frauen versteht, dann er. Vielleicht sind sie deshalb nie geblieben, weil er all ihre Geheimnisse kannte.
Die Zunge wird ihm schwer wie sein Gemüt. So ein Hauch Melancholie, von dem er denkt er würde avantgardistisch wirken, wenn er sich schweigend vom Tisch erhebt, der Kellnerin das Kleingeld über den Tresen rollt und er dann mit erhobener Hand ein „Adieu Freunde“ in die Runde wirft.

Auf der Straße schleppt er sich drei Häuser weiter, stützt sich mit einer Hand an der Mauer ab und hält mit der anderen seinen Schwanz beim Pinkeln. Schwankend verpackt er nach verrichtetem Tun sein bestes und auch gleichermaßen nutzloses Stück und singt stammelnd ein paar Fetzen der Marseillaise.
Er malt sich aus wie sie wäre. Claire müsste sie heißen, dunkles Haar, Pagenschnitt und einen süßen Akzent. Und sie würde ihn verstehen, würde alles verstehen.
Und am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück würden sie losgehen und Revolution machen. Dann könnten die anderen mal sehen wie das geht.
Der Schlüssel geht nicht ins Schloss, erst als er drei Mal laut ihren Namen gerufen hat. „Claire.“ Da gelingt der Dreh, die Tür öffnet sich. Wenn sie doch nur da wäre, jetzt, sich neben ihn legen würde, den weichen Leib, ausgestreckt auf dem Bett.
Er lässt sich neben sie fallen, das Bild von ihr in seinem Kopf.
Die Katze flüchtet wütend fauchend von ihrem Lager und knurrt ihn aus der Ecke mit zurückgelegten Ohren an. „Ach Felida.“
Am Morgen wird Versöhnung gefeiert, mit Dosenthunfisch für beide. Und die Revolution wird noch ein wenig warten müssen.

Dienstag, 2. November 2010

ohne alles


Die Sonne scheint grell durch das breite Fenster, vor dem gelegentlich jemand eine Autotür viel zu laut zuschlägt. Zum Verdunkeln hatten sie gestern keine Gelegenheit mehr. Vielleicht waren sie dazu auch einfach nicht mehr in der Lage.
Er hatte angerufen, wie er es immer tat, wenn er mal wieder verlassen worden war oder jemanden verlassen hatte. „Ist doch alles Scheiße mit den Gefühlen und so. Kommst du? Ich koch uns auch was.“
Das Telefongespräch war die Grundlage für das Danach und das Essen die Grundlage für das gemeinsame anschließende Besäufnis. Erst nur ein Glas und dann die Flasche Wein zur Musik. Später war dann auch der Ouzo geleert und einer von beiden täuschte Müdigkeit vor damit sie endlich ins Bett kamen. Der eigentliche Anlass dieser Treffen. Noch ein paar Sätze reden, eher unverständliches und dann Haut an Haut, so tun als wolle man einschlafen, bis ein Satz den Auslöser gab sich hinzugeben. Die willenlose, anstrengende Lust der Trunkenheit. Sich den Frust in der Vertrautheit aus der Seele ficken. Sie wussten wer, wie und was am liebsten mochte, von all den vorherigen Treffen. Nur ein einziger Akt, mehr war nicht nötig um das Gewollte zu erreichen. Nähe schaffen ohne Gefühle investieren zu müssen. Zumindest nicht mehr als nötig.

Ein gutes Gefühl aneinander so schamlos zu sein, zu wissen, dass man sich nur aneinander bediente. Kein Gewissen haben zu müssen, weil es niemanden gab dem es weh tat, denn das war die einzige Voraussetzung dafür. Beiderseitige Verfügbarkeit, ohne Verletzung dritter. So unverbindlich, wie es innerhalb einer Freundschaft sein konnte. Am nächsten Morgen gemeinsames Frühstück. Keine Zärtlichkeiten, weil die jetzt nicht mehr tragbar gewesen wären. Eine Umarmung zum Abschied, bis zum nächsten Mal, dass unweigerlich kommen würde. Man trennte sich ohne schlechte Gefühle die einem im Nacken saßen, weil beide wussten was es war und dass es nichts weiter zu bedeuten hatte.

Nur heute morgen ist es anders. Sie liegt mit offenen Augen neben ihm, lauscht seinem träumenden Schnaufen. Ein Geräusch das ihr vertrauter sein wollte. Bei dem sie das Bedürfnis haben sollte sich ihm und seinem Körper zuzuwenden, sich wieder mit ihm zu verbinden, aus der Selbstverständlichkeit des aufwachenden Halbschlafs.
Aber da ist nichts, nur eine Leere, die sie versucht auf dem Rücken liegend zu binden. Die Decke bis an die Schultern, die Arme stramm am Körper darüber, als könne sie so verhindern das die innere Kälte sie überrollt.
Ein Essen, eine Flasche Wein und eine Flasche Ouzo. Sie fühlt sich billig.
Auch wenn es von beiden so gewollt ist.

Langsam schiebt sie sich unter der Decke hervor, sammelt ihre Kleidung vom Fußboden und schleicht aus dem Zimmer.
In der Küche sucht sie nach Zettel und Stift.
Ruf nicht mehr an - und legt die Notiz unter das Päckchen mit seinem Tabak.
Mehr ist nicht nötig, damit er versteht.