Der Hof steht auf einer
leichten Anhöhe und ist in dem flachen Land schon weithin sichtbar.
Es wird noch ein paar Minuten dauern bis sie dort ist, Zeit zum
atmen, sich einfinden in die Stimmung.
Herbstliche Schauer und
Sonnenschein haben sich zu einem Regenbogen vereinigt, der aus ihrer
Sicht seinen Anfang direkt über dem Hof zeigt. Wie ein Energiestrom
ragt er als ausgefranstes Ende in den Himmel. Es ist nur nicht zu
erkennen, ob die Energie hinein oder heraus fließt. Ihr Optimismus
ist situationsbedingt begrenzt, sie sieht den Regenbogen eher als
einen großen Saugrüssel, der die Energien nicht nur herausfließen
lässt, sondern sie unter großem Druck abzieht. Täglich ist weniger
davon vorhanden, mit jedem Gespräch, jedem Wort, jedem verächtlichen
Blick wird es kälter.
Eingelullt von jahrelanger
Vertrautheit waren ihnen die schleichenden Veränderungen kaum
aufgefallen oder sie hatten sie einfach hingenommen. Reste von allem
was nötig ist um eine Existenz zu berechtigen waren ja noch
vorhanden. Aber es schwächelte und das nicht erst seit kurzem.
Beiläufige Berührungen, gefühlstote Küsse und Pflichterfüllung
statt Begehren.
Um die Vertrautheit hatten
sie einst gekämpft, sich zueinander durchgerungen und die gratigsten
Kanten abgeschliffen damit sie sich und einander aushalten konnten.
Nicht so sehr, dass sie nicht hin und wieder aneinander hängenblieben
und sich reiben konnten. Aber irgendwann waren sie wie Kiesel im
Meer, die nach jahrelangen Wellen rundgeschliffen sind und träge im
Sand liegen bleiben, nachdem die letzte Welle sie mit einer rollenden
Bewegung an Land gespült hat.
Sie rutschten einfach
aneinander ab, wie eine Hand die auf eine Schulter gelegt wird und im
nächsten Schritt unbemerkt abgleitet. Eine unbewusste Geste, die bei
genauerer Betrachtung die zweisame Einsamkeit in den Vordergrund
zerren kann.
Die Gleichgültigkeit
schwappte in Wellen über sie hinweg und jetzt drohten sie darin zu
ertrinken. Gerade jetzt, wo sie versuchten sich über Wasser zu
halten.
Die letzten Meter
Landstraße, der Blinker gibt bereits den Takt an, ein halbherziger
Versuch mit dem rhythmischen Klacken das Geräusch des Regens auf dem
Blech zu übertönen. Der Regenbogen hat sich im grau des Himmels
aufgelöst. Sandiger Kies täuscht ein Gefühl von vertrauter
Umgebung vor. Der immer gleiche Weg hat eine Fahrspur in den Boden
gedrückt, aus der es kaum ein Entkommen gibt, wie eine Schiene die
den direkten Weg vorgibt. Kein Ausweichen möglich.
Der Hofhund schleppt sich
keuchend ein paar Meter vorwärts und verharrt mit gesenktem Kopf und
hängender Rute ausdruckslos im Regen. Selbst er scheint sich den
Gegebenheiten angepasst zu haben. Alt und krank harrt er auf eine
Lösung, aber niemand scheint sich zuständig zu fühlen. Vielleicht
weil er ein Erbstück des verstorbenen Vorbesitzers war und niemand
gelernt hat ihn zu lieben. Es fehlt das Stückchen erlebter
jugendlicher Übermut, der ihn einst liebenswürdig erscheinen ließ.
Irgendwie war er immer ein alter Hund, distanziert und leicht
griesgrämig, nur auf seine Aufgabe fixiert einfach präsent zu sein.
Sie nutzt den Schauer um
noch ein wenig Ordnung in die angesammelten Gedanken zu bringen. Ein
Stapel für die Erkenntnisse des Tages, die sich vielleicht schon
wieder in Luft aufgelöst haben, sobald ihr Gegenpart ausgesprochen
wird.
Ein Stapel mit
resultierenden Fragen und ein kleiner aufgestauter Rest an
unauflösbaren Vorwürfen.
Der Regen gibt ein wenig
nach und sie hastet quer über den Hof ins Haus, als hätte sie es
eilig.
Der alte Kachelofen der
halb in die Diele ragt kann mit seiner bulligen Wärme die Kälte im
Haus nicht vertreiben. Seine Hitze erreicht das innerliche Frösteln
nicht. Das morgendliche Anheizen gehört zu den Ritualen, mit denen
sie sich hinweggetäuscht haben, ebenso wie der erste schweigsame
Kaffee gemeinsam am Küchentisch.
Wann war dieses Schweigen
eingezogen und wann war es so laut geworden, dass es unüberhörbar
wurde?
Eingezogen war es
sicherlich schleichend, unbemerkt. Bis es vor einigen Wochen mit
einem lauten Knall mitten in sie hinein gebrochen war.
Plötzlich hing dieses
Wort im Raum -Betrug-, zuerst nur als Verdacht, dann als Bestätigung.
Eine Beichte die das schwelende Gewissen beruhigen sollte, aber eine
Feuersbrunst an Gefühlen heraufbeschwor. Eigentlich unnötig, weil
schon Jahre dazwischen lagen.
Betrug – nur das nichts
trägt hinter diesem Wort. Es ist eher ein Fall ins Bodenlose,
schleudert jeden Glauben, jedes Versprechen in den Dreck.
Die Unverwundbarkeit
bekommt einen Riss, wie eine klaffende Wunde, aus der zäher, gelber
Eiter sickert und die Lücke zwischen ihnen füllt.
Der Anlass eine beiläufig
erwähnte Hochzeitsanzeige in der Zeitung.
Seine Antwort, ein lapidar
in den Raum geworfenes „Wusstest du eigentlich dass ich mal etwas
mit ihr hatte?“
Eine lächelnde
Verneinung, im Glauben an die Zeit vor ihrer Zeit und dann die
Erkenntnis. „Ich dachte du hättest etwas bemerkt, damals.“
Damals war fünf Jahre
her, da steckten sie mitten in der Renovierung des Hofes und ihr war
kaum klar, wie er daneben noch die Zeit gefunden hatte. Gefühlt
hatten sie zu der Zeit jede freie Minute miteinander verbracht. Es
gab die üblichen Baustellenreibereien die es zwischen Paaren gibt.
Ob die Toilette besser schräg oder rechtwinklig steht. Ob die Idee
mit der offenen Küche tatsächlich wegen der störenden tragenden
Wand der Stabilität des Hauses geopfert werden musste und welche
Farben schließlich für die Wände gewählt werden.
Manchmal gerieten sie mit
ihren Kräften und Argumenten an Grenzen, aber größere Schäden
blieben aus, zumindest offensichtlich.
Bis zu seinem späten
Geständnis.
Als seine Worte in ihr
Bewusstsein drangen spürte sie einen Schnitt der mitten in das
Fleisch ihrer Beziehung geriet. Nur nicht mit dem leisen Knirschen,
mit dem man mit einem Skalpell in lebendiges Fleisch schneidet,
sondern wie mit einem stumpfen Messer in eine tote Schwarte, die das
darunter liegende tote Fleisch bedeckt.
Jetzt sezierten sie an den
Resten ihrer Liebe, schwer bewaffnet mit Worten auf der Suche nach
Gründen und Ausflüchten.
Drei Monate vor fünf
Jahren, in denen sie an Nähe geglaubt hatte und er unbemerkt weit
von ihr abgerückt war.
Sie, verletzt von seinem
Geständnis und ihrer eigenen Blindheit, und er durch ihr
Eingeständnis ihn nicht einmal in Verdacht gehabt zu haben.
Manche Sätze rissen tiefe
Narben und verschütteten die Irrtümer guter Erinnerungen.
Oft schleppten sie sich am
späten Abend wie zwei Schwerverletzte unter die Decken. So viel
Abstand wie nur möglich zwischen sich lassend, lag jeder an seinem
Rand und nahm eher einen Absturz als eine kleine Geste der Zuwendung
in Kauf.
Die Schuldfrage ließ sich
nicht eindeutig klären, weil damals keine ausreichenden Gründe
vorgelegen hatten. Das war es auch, was es für sie umso
unerträglicher machte. Wenn es einen Grund gegeben hätte, dann
hätte man ihn bewegen können und das Verzeihen irgendwo an ihm
aufhängen können. Aber so blieb alles in der Luft die sich kaum
mehr atmen ließ, wenn beide im selben Raum waren, weil zu viele
giftige Gedankendämpfe darin waberten. In jedem Blick lag eine
Anschuldigung auf der Lauer. Was würde wohl als nächstes
hervorkriechen und seine hässliche Fratze zeigen?
Das Schweigen zwischen
ihnen war gebrochen und forderte seinen Preis. Sie wechselten keine
Worte, sondern schleuderten sie sich zu, manchmal hasserfüllt und
verletzt. Alles kam mit in die Waagschale, die ganze Gleichmütigkeit
aus der sie ihre Sicherheit gezogen hatten. Eine Sicherheit die ihnen
jetzt schon fast unanständig vorkam, weil sie, außer den täglichen
Ritualen, so wenig dafür geleistet hatten.
Die Alternativen würden
sie demnächst voreinander ausbreiten.
Mit schlecht heilenden
Verletzungen getrennte Wege gehen oder in dem ganzen chaotischen
Wirrwarr aus widersprüchlichen Gefühlen auf den Parallelen wieder
zueinander finden und sich vorsichtig gegenseitig die Wunden lecken
um es besser zu machen. Der Wille zur Besserung wäre eine der
Grundvoraussetzungen um wieder zum Leben zu erwecken, was jetzt mehr
tot als lebendig in der Ecke lag und ums Überleben kämpfte.
Der Ausgang des ganzen war
die unbekannte Größe mit der sie jonglierten.
Vielleicht war es am
einfachsten mit dem schlimmsten zu rechnen um es sich immer wieder
vor Augen zu führen um einen Schritt nach dem anderen davor zurück
zu weichen.
Vielleicht war aber auch
nur ein letzter klarer Schnitt die einzig mögliche Lösung.
An der Garderobe hängt
ihre tropfende Jacke, darunter zwei kleine Wasserlachen auf dem
Boden.
Sie sitzen sich in der
Küche am Tisch gegenüber, halten sich fest am heißen Kaffee.
Sein Blick richtet sich
auf sie und ein Arm schiebt sich langsam in ihre Richtung. Sie sieht
es kommen, ohne es verhindern zu können. Die Hand legt sich in einer
beschwichtigenden Geste auf ihren Unterarm. Darunter wird ihr kalt,
sie hört auf zu atmen, sieht nur auf die Hand und weiß, dass sie
das und ihn nicht mehr aushalten kann.
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