Mittwoch, 10. November 2010

Renes Revolution

Rene sitzt am Tisch zwischen den anderen und monologisiert, wie immer. Er hört sich gerne reden, dafür hört er nicht so gerne zu wenn jemand anderes etwas zu sagen hat.
Er hält sowieso nur seine Meinung für wichtig genug sie kund zu tun. Die anderen haben doch keine Ahnung, keinen Durchblick, wissen nichts von den wahren Hintergründen, sind nur oberflächlich informiert.
Aufklärung ist nötig, Meinungsbildung, seine Meinung.
Kein Thema zu dem er nichts zu sagen wüsste, sobald jemand ein Bröckchen in die Runde wirft. Rene schnappt danach. Wirtschaft, Politik, Religion, Krieg, alles hängt zusammen, alles verwoben, der ganze korrupte Dreck, den nur ganz wenige Auserwählte wirklich durchblicken, weil sie sich die Mühe machen hinter die Fassaden zu blicken. Aufräumen müsste man da mal und alles auf Null setzen und ganz von vorne anfangen. Dann würde es wieder gerechter werden und sauberer.
Aber es geht ja keiner mit von den faulen Säcken. Eine Revolution müsste mal wieder her, so wie früher. Ganz gleich ob friedlich oder mit Gewalt, nur es muss sich was ändern.

Rene trinkt Roten, weil das so üblich ist unter seines gleichen. Bier ist was fürs Proletariat. Bier macht tumb und dumm und träge dicke Bäuche. Daran erkennt man die Dummen, an ihren Bierbäuchen. Auch solche Sätze predigt er.
Und Rene träumt davon sie alle auf seine Seite zu ziehen, auch die bierbäuchigen.
Dass sie es endlich alle einsehen und mitgehen, wenn die Revolution kommt.
Den Wein trinkt er aus Gläsern. Nur die Kellnerin weiß am Ende wieviele es am Abend waren und dass es immer der billige ist.
Die anderen versuchen anfangs noch mitzuhalten, anzuknüpfen, in eine Atemlücke seiner Monloge zu schlüpfen, bis er ihnen wieder seine Wortflut überstülpt. Eine Weile heucheln ihre zugewandten Blicke noch höflich gelangweiltes Interesse, bis jeder froh ist, wenn sich irgendwo am Tisch ein Gesprächsfetzen aufschnappen lässt in den man sich einklinken kann. Aber das hindert ihn nicht. Er redet bis zum letzten Opfer, das meist dicht neben ihm sitzt und die Rituale noch nicht kennt.

Der Abend wird lang, das Gelächter lauter. Die anderen lachen, nur Rene wartet redend darauf, dass endlich jemand mitkommt und Revolution mit ihm macht, so wie damals in Frankreich.
Ja, die Franzosen, die hattens drauf, auch wenn damals Köpfe gerollt sind. Abgeschlagen von der Guillotine rollten sie dem Volk vor die Füße, die Verräterköpfe. Nicht immer war die Schneide scharf genug für einen sauberen Schnitt. Manchmal hingen Haut und Adern in Fetzen. Vive la France, es lebe die Revolution, skandiert er zu vorgerückter Stunde mit geschwollener Zunge, als wäre er damals dabei gewesen.
Ja, Paris, die Stadt der Liebe. Das wäre ein Leben, die Baskenmütze schräg auf dem Kopf, da Baguette unter dem Arm und der Sex wäre immer französisch. Ab einem gewissen Pegel kann Rene auch mal zotig sein und den Damen mit französischen Akzent Schweinereien zuflüstern. Dabei amüsiert er sich prächtig, lacht laut und klopft sich auf die Schenkel. Ein Zustand der vorübergeht, fast unbemerkt bekommt er dann etwas weinerliches und sinniert über die Liebe.
Die Liebe des Lebens, den Sinn und Zweck und die Liebe überhaupt.
Philosophisch müsste man das Thema angehen, meint er. Ob man immer nur einen Menschen lieben kann oder ob wir nicht doch alle nur treulose Polygamisten seien, die sich der gesellschaftlichen Moral nur aus geheuchelter Anständigkeit unterwerfen.
Und was ist das überhaupt, Liebe. Ein unerklärliches Gefühl, dass einen nur weich macht und einen doch immer wieder leiden lässt und Misstrauen sät. Und überhaupt wäre es doch ganz egal welchem Geschlecht man sich dabei zuwendet. Wahre Liebe kennt solche Grenzen nicht.
Hier räkeln sich meist die Männer ein wenig peinlich berührt.Ob der Rene wohl schwul ist, oder zumindest bi. Man weiß es ja nicht, man sieht ihn ja nie mit einer.
Vielleicht ist er ja so ein heimlicher und nach dem nächsten Roten kommt sein besoffenes Outing.
Aber nein, Enttäuschung macht sich breit, wieder keine Sensation. Rene schwärmt von all den verflossenen Lieben in seinem Leben. Lange her, aber wirklich geliebt hat er sie alle, jede auf ihre Weise. Wenn einer die Frauen versteht, dann er. Vielleicht sind sie deshalb nie geblieben, weil er all ihre Geheimnisse kannte.
Die Zunge wird ihm schwer wie sein Gemüt. So ein Hauch Melancholie, von dem er denkt er würde avantgardistisch wirken, wenn er sich schweigend vom Tisch erhebt, der Kellnerin das Kleingeld über den Tresen rollt und er dann mit erhobener Hand ein „Adieu Freunde“ in die Runde wirft.

Auf der Straße schleppt er sich drei Häuser weiter, stützt sich mit einer Hand an der Mauer ab und hält mit der anderen seinen Schwanz beim Pinkeln. Schwankend verpackt er nach verrichtetem Tun sein bestes und auch gleichermaßen nutzloses Stück und singt stammelnd ein paar Fetzen der Marseillaise.
Er malt sich aus wie sie wäre. Claire müsste sie heißen, dunkles Haar, Pagenschnitt und einen süßen Akzent. Und sie würde ihn verstehen, würde alles verstehen.
Und am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück würden sie losgehen und Revolution machen. Dann könnten die anderen mal sehen wie das geht.
Der Schlüssel geht nicht ins Schloss, erst als er drei Mal laut ihren Namen gerufen hat. „Claire.“ Da gelingt der Dreh, die Tür öffnet sich. Wenn sie doch nur da wäre, jetzt, sich neben ihn legen würde, den weichen Leib, ausgestreckt auf dem Bett.
Er lässt sich neben sie fallen, das Bild von ihr in seinem Kopf.
Die Katze flüchtet wütend fauchend von ihrem Lager und knurrt ihn aus der Ecke mit zurückgelegten Ohren an. „Ach Felida.“
Am Morgen wird Versöhnung gefeiert, mit Dosenthunfisch für beide. Und die Revolution wird noch ein wenig warten müssen.

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