Montag, 4. Oktober 2010

leicht-fertig - Erwartungen - halb sieben

Montag, 24. Mai 2010 - 13:32 Uhr
leicht-fertig



Mit den Fingern schnippt sie die Zigarette weg, ohne die Richtung zu beachten. Hauptsache fort. Eigentlich will sie jetzt aufstehen und nur noch schreien. Schreien, in einem einzigen schrillen hohen Ton, bis alles rundum in Scherben geht. Und dann wird sie laufen, bis es nicht mehr geht, am Ende der Welt. Sie will dabei nichts hinter sich lassen, alles in sich raffen, damit nichts von ihr bleibt.
Es soll niemand wissen dass es sie je gegeben hat, sie will keine Spuren hinterlassen.
Und dann wird sie springen ins nichts, am Rand der Welt. Da ist es so wie es sich anfühlt.
Aber sie weiß, sie wird hier sitzen bleiben, weder schreien, noch laufen. In ihr ist alles dunkel und hohl. Und wenn sie noch ein Wort sagt, dann wird ihr Mund eine einzige blutige Wunde sein.
Die Erde ist keine Scheibe, wie auch dies hier nicht sein kann.

Sie weiß nicht wohin mit sich, mit der Leere, den Händen. Die Finger finden den Reißverschluss, ritsch – ratsch. Ein Sägegeräusch als würde sie alles in der Mitte zerteilen, dies Stück Realität, ihr Herz und sich selbst.
Wenn sie jetzt ein Gefühl hätte, dann würde sie es gerne mit den Händen umschließen, es festhalten und dann später irgendwo hinschleudern. Dann könnte sie zusehen wie die Eingeweide langsam an der Wand abrutschen und antrocknen. Die Reste könnte man später mit einzelnen Fragen noch abknibbeln.

Aber da hat ihr das eigene Entsetzen dazwischen geschlagen, hat alles mit einem Mal niedergedrückt und platt gewalzt. Die Luft ist raus, denkt sie, und bläst das kleine bisschen bedrückende Restluft aus.
Vielleicht wenn sie jetzt einfach nicht mehr einatmen würde, nie mehr.
Sie versucht es, dann schnappt sie nach Luft, weil es anders nicht geht.
Wieso kann man nicht einfach aufhören zu sein, nur eine Weile, bis wieder Raum da ist.
Jetzt fühlt sie nur die Enge die sich immer fester um ihr Denken legt.
„Das da“, er deutet auf ihre Hand, „dass habe ich auch noch nie leiden können!“

Wenn sie jetzt nachgibt, gibt sie auch auf. Und dann ist da nichts mehr woran sie sich halten kann, nicht einmal mehr das ritsch – ratsch. Vorher hätte sie ihn dabei angesehen, von unten nach oben, so wie sie gefühlt hat, und hätte gewartet ob und wie er reagiert. Aber jetzt geht das nicht, nicht mehr, niemals mehr.
Da liegt jetzt ein großer Brocken zwischen ihnen beiden, einer den sie schlucken soll und doch nicht weiß wie. Sie hat Angst zu ersticken wenn sie es versucht. Sie wird ihn in kleine Stücke teilen müssen, damit es fassbar wird. Und es wird Tage und Wochen dauern bis alles zerdacht und zerkaut ist, bis sie es endlich geschluckt hat. Und dann wird da, trotz dieses Brockens, ein Gefühl der Leere sein.
Wenn man das alles doch nur schreddern könnte, in ganz kleine Teile und am Ende wieder zusammenfügen, in etwas das brauchbar wäre, mit dem man umgehen könnte.

Leiden können, wie er das sagt, so als wenn es das gar nicht gäbe, das Leid. Wenn sie jetzt eine Stimme hätte, eine die etwas aushält, die sich nicht an dem sauren Geschmack in ihrem Mund verschluckt. Aber sie weiß, jedes Wort das sie jetzt sprechen würde, würde ihr brechen wie Glas.
Sie bleibt stumm, lässt den Reißverschluss los, legt die Hand in den Schoß zu der anderen. Wie gelähmt fühlt sie sich, als müsse sie jetzt auf ewig hier sitzen bleiben, egal ob er bleibt oder geht.
Ohne ihn anzusehen weiß sie, er hat jetzt diese Falte auf der Stirn, genau in der Mitte.
Wenn da nur ein Grund wäre, einer den sie fassen könnte, auf den sie zustürzen könnte. Zum drauf stürzen, auseinander reißen, mit dem man arbeiten könnte, sich auseinander setzen könnte. Damit man voneinander abrücken könnte, nicht mit so einem Riss, sondern langsam, behutsam am Rand einer großen Wunde entlang.

Jetzt hängt da nur dieses -auch- vor -noch nie leiden können-, wie ein Vorwurf an die Vergangenheit. Und ihr bleibt das Rätsel, was da denn noch zu dem -auch- gehört.
Wie oft hatte er gedacht dass er etwas oder sie vielleicht doch gar nicht so leiden könne. Und sie dabei in dem guten Glauben gelassen, alles wäre gut und richtig wie es ist, oder war.
Mit der Spitze vom Schuh findet sie einen Stein, rollt ihn darunter im Kreis. Ja, so muss es für ihn wohl gewesen sein, wie ein kleiner Stein, den man bei einer Wanderung mit sich im Schuh trägt. Man schüttelt ihn eine Weile beiseite, doch dann ist er wieder da und macht jeden Schritt schwer. Drückt sich in die Sohle, dass man einfach nicht anders kann, als an ihn zu denken. Und erst dann, wenn sich alles Denken nur noch um diesen Stein dreht, dann hält man an und wirft ihn beiseite.

Seine Augen wandern zu ihrem Fuß und dem schabenden Geräusch unter ihrem Schuh. Ja, denk du nur dass dich das stört, aber ich kann ja nicht, mich einfach so in Luft auflösen, wo mir grad die Luft zum Atmen schon fehlt. Vielleicht wird ja die nächste so sein, ganz ohne Geräusch, nur ein Hauch in der Luft. Aber ein Hauch kann einen nicht so berühren. Kaum dass er einen umweht ist er auch schon wieder fort.
Stürme sind ihr da schon lieber, die machen es einem schwerer, in die kann man sich reinlehnen und gegen sie anschreien, wenn in einem alles reißt.

Keine Welt dreht sich mehr um die andere, denkt sie, als ihr Fuß da so am Boden kreist. Im Rechnen war sie in solchen Situationen noch nie gut, sonst würde sie jetzt das eine gegen das andere aufrechnen und versuchen eine Bilanz zu ziehen, bei der am Ende sie auf der Haben-Seite steht. Aber mit manchen Dingen kann man nicht rechnen und schon gar nicht mit solchen.
Sie hat den Schlag einfach nicht kommen sehen, hatte keine Zeit die Schutzschilde hoch zu fahren und die Arme zum Kampf zu erheben, oder wenigstens in Deckung zu gehen. Aber wie kann man auch kämpfen, wenn es keine Regeln gibt an die man sich halten kann. Wenn man schon vor der ersten Runde in die Knie geht und den Ring erst betritt, nachdem das Ende des Kampfes schon feststeht.
Und sie ahnt, das hier ist kein Traum, das ist nur sein Ende.


Dienstag, 20. April 2010 - 16:10 Uhr
halb sieben


„Ist hier ein Arzt, oder ein Richter? Irgendwer, diese Frau braucht Hilfe“, ruft es in meinem Traum. Eine vielschichtige Stimme wie aus vielen Mündern.
„Sie ist nicht normal, sie mordet, immer wieder tut sie das. Wir müssen ihr den Schädel öffnen. Haben Sie ein Gewehr?“
Eine tote Taube liegt unter der Parkbank, bäuchlings, die Flügel ausgebreitet. Etwas Blut, ein kleiner Tropfen, quillt aus dem halb geöffneten Schnabel. Da wo die Flügel zum Körper werden ist ein kleiner Lackrest, grün, abgeblättert von der Parkbank unter der das verendete Tier liegt. Ein Dackel kommt vorbei, schnuppert am Gefieder, wendet sich ab und hebt selbstbewusst pinkelnd ein Bein. „Meins!“ soll uns das sagen. Plötzlich schießt ein großer schwarzer Hund aus dem Gebüsch direkt auf den Dackel zu, packt ihn im Genick uns schüttelt ihn zweimal gekonnt. Ein kurzes Quiecken, dann hängt der Dackel schlaff. Später frisst der große schwarze die Taube und wird an dem Gift verenden.
Die Welt ist vielleicht doch gerecht?
Ich warte immernoch auf den Arzt. Es ist kalt, über mir kreist ein Storch in einer roten Aschewolke. Turbinen jaulen und weit entfernt steigen Feuer und Rauch am Horizont auf. Bewaffnete Männer in Tarnanzügen nähern sich der Feuersbrunst und erschießen alle die dem brennenden Wrack mit letzter Not entkommen können.
Und kein Richter in erreichbarer Nähe der für vermeintliche Gerechtigkeit sorgt.
Ich fordere lautstark die Todesstrafe, für alle außer mich.
Das dröhnende Knurren einer Bohrmaschine lässt meinen Kopf vibrieren.
„Schwester, Tupfer und dann schneiden sie das großzügig aus.“
Meine Stimme gehorcht mir nicht als ich protestieren will. Nein, da doch nicht.
Und dann kann ich nicht mehr denken bis der Tätowierer kommt und mir meine Gedanken mit schwarzer Schrift ins Gehirn tätowiert, alle einzeln.
Danach schraubt er mir sorgfältig die Schädeldecke wieder auf und kämmt mein Haar. „Wird schon“, murmelt er und streichelt mir die Wange.
Jemand schraubt mir einen Haken in den Schädelknochen. „Für den Notfall!“
Ich sehe behaarte Männerbeine in High Heels die sich von mir entfernen.
Eingespieltes Gelächter vom Band. Ich denke an Tooltime und Tim Taylor, der plötzlich im Lederharness vor mir steht. Nackt, mit einem gewaltigen Ständer.
Meine Zunge schnellt vor und schlägt ihm auf sein bestes Stück, das augenblicklich erschlafft. Kettensägen heulen Bombenalarm, große Bagger graben Massengräber zum Sonderpreis.
Jemand ruft nach dem Führer, aber der ist beschäftigt. Er spielt mit Georg Bush auf den Trümmern der Twin Tower in der heißen Asche, als Max und Moritz verkleidet.
Am Rand steht der alte Wilhelm Busch als Weihnachtsmann und ruft laut „Ho-Ho-Ho“ und brabbelt was von alten Männern die sich auf die Schuh pinkeln.
Die tote Taube liegt direkt neben meinem eben noch geöffneten Schädel – Infektionsgefahr. Ich sehe riesige Milben durch ihr Gefieder kriechen, eine davon kriecht mir ins Ohr. Sie wird ab jetzt das Denken für mich übernehmen. Ich will mit ihr darum streiten, aber sie wird sofort laut und behauptet ich wolle immer nur Recht haben.
Dann fängt sie plötzlich an zu weinen und ich lasse sie gewähren, während ich mich frage was Milben wohl denken?
Eine Horde braungebrannter Menschen nähert sich langsam, erschöpft und durstig schleppen sie sich an mir vorbei, angetrieben von einem peitscheschwingenden Mann im schwarzen Anzug. Niemand bemerkt mich. Nur der mit der Peitsche grinst mich an, holt aus und trifft mich. Eigentlich müsste ich den Schmerz als Schmerz fühlen, aber ich bin so nicht. „Wusste ich es doch“, höhnt der Mann und treibt die Meute weiter fort in einen rötlichen Sonnenuntergang.
In meinem Hirn hustet die Milbe, dann setzt sie sich mit übereinander geschlagenen Beinen direkt in mein Zwischenhirn und raucht. Mir tränen die Augen.
Die Milbe herrscht mich an: „Heul nicht!“
Eine Dame im schicken Kostüm geht vorbei und drückt mir mitleidig zwei Euro in die Hand.
Ich will mich bedanken und rufe ihr „Schlampe!“ hinterher. Die Milbe kichert amüsiert.
Dann kommt der Arzt zur Visite, eine Krankenschwester, im Lackkostüm und ohne Unterwäsche, ist bei ihm. Aus meinem Kopf steigt Rauch auf. Der Arzt greift der Schwester mit der linken Hand an den Busen, mit rechts zeigt er auf mich.
„Wir müssen intubieren, Schwester.“
Als die Schwester mit der Arbeit beginnen will schreit die Milbe in meinem Kopf:
„Besetzt!“ Ich ergreife die Flucht, nachdem ich der Schwester die zwei Euro gegeben habe. Meine Schädeldecke klappert im Laufschritt und die Milbe kann sich nicht mehr halten. Sie stürzt zu Boden und ist auf der Stelle tot.
Neben dem Weg liegt ein umgekipptes Dreirad. Eines der Hinterräder dreht sich im Wind und läuft dabei schief auf der Nabe.
Ein Mann mit Baskenmütze will mich für die Fremdenlegion rekrutieren oder mir Dope verkaufen, ich soll mich entscheiden, sofort! Hinter mir taucht Rio Reiser auf und wir skandieren im Chor: „Keine Macht, für Niemand!“ Hände graben sich aus dem Boden nach oben und versuchen ihn zu greifen. Rio wehrt sie ab solange es geht. Schließlich schlängelt sich ein Arm bis zum Knie um sein Bein und zieht ihn unter die Erde.
Ein einzelnes Schifferklavier humpelt seufzend an mir vorbei.Einige Meter weiter kippt es auf die Seite und macht Pfurzgeräusche.
Neben mir hält ein Taxi. Ich öffne die Tür und steige in ein U-Boot. Als Kapitän habe ich das sagen an Bord. Gleichzeitig befehle ich: „Alle Mann an Deck!“ und „Tauchen!“. Die Mannschaft gehorcht mir bedingungslos. Wir gehen unter, mit Mann und Maus. Ich werde gerettet und treibe auf dem See im Park wieder an Land. Als ich die ersten Schritte gehe zerfallen meine Beine in Scherben. Ich muss vorsichtig sein.
Eine alte Frau sitzt auf dem Boden und malt Zahlen in den Sand. Auf ihrem Rücken ist eine Uhr, es ist gleich halb sieben. Sie dreht sich zu mir um und öffnet den Mund zu einem stummen Schrei. Ich gehe zu ihr zurück und kämpfe mit ihr um den Zweig mit dem sie eben die Zahlen in den Sand geschrieben hat.
Mitten auf dem Weg fange ich an eine völlig wirre Geschichte zu schreiben.
Ich schreibe und schreibe und schreibe, bis ich am Ausgang des Parks angekommen bin.
Dann wache ich auf. Es ist halb 7 und neben meinem Bett liegt eine tote Taube.
Unter mir knurrt ein großer schwarzer Hund und aus dem Nebenzimmer höre ich das Geräusch von unbeschlagenen Pferdehufen.
Ein Sturm kommt auf und lässt die Schranktüren auf und zu schlagen. Ich reibe mir den Sand aus den Augen und spüre dass ich mit meiner Matratze verwachsen bin. Unmöglich so aufzustehen. Ich denke dass die Gedanken frei sind und erhebe mich mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Bett. Der Hund schnappt nach mir und winselt dabei. Die Tür geht auf und das Pferd schnaubt mich an. Ich streiche über die warmen, weichen Nüstern und es gibt den Weg frei.
Wieder bin ich im Park, vor mir eine Bank von der die grüne Farbe abblättert.
Als ich mich darauf setze sehe ich die tote Taube die darunter liegt.
Ich wache auf, es ist halb 7.




Freitag, 26. Februar 2010 - 15:43 Uhr
Erwartungen


Frauen erwarteten immer von ihm dass er irgendwann zum Arschloch mutierte. Nicht gleich und sofort. Nein, zuerst sollte er sie mit seinem Charme um den Finger wickeln, höflich und zuvorkommend sein. Ihnen Komplimente machen und ihnen nachstellen wenn sie sich zierten.
Und dann, wenn sie ihm freiwillig in die aufgestellte Falle gefolgt waren, dann sollte er sein wahres Gesicht zeigen.
Dann wollten sie genommen werden, möglichst brutal. Er sollte sie schlagen, anspucken, auf sie wichsen und pissen. Ihnen den Schwanz in den Hals rammen bis sie würgten, die Haare büschelweise ausreißen, sie würgen und klammern und nadeln. Sie wollten dass er ihnen die Gliedmaßen band bis es nur so in den Gelenken knackte, die Brüste abband bis sie blau wurden. Sie wollten sich vor ihm und für ihn erniedrigen, sich von fremden Kerlen vor seinen Augen ficken lassen und sich auch mal mit Frauen trauen.
Alles nur für ihn. Und bei all dem wollten sie ihn auch noch anbeten und auf ewig lieben.
Und sie wollten dass er richtig stolz auf sie wäre, sie lieben und verehren würde dafür.

Früher hatten ihn diese Erwartungen richtig geil gemacht und er konnte es gar nicht abwarten bis sie sich wieder zum willigen Opfer machten. Und er hatte alle ihre Erwartungen erfüllt und manchmal sogar noch mehr.
Ganz selten nur hatte er sich hinterfragt, nach dem warum und dem danach.
Er hatte den Säuen Perlen zugeworfen und sie hatten brav gefressen, bis er satt war, überdrüssig.

Nackt, geil und nass hatten sie sich ihm präsentiert, er musste sich nur nehmen.
Und wenn er sich weigerte, verweigerte, machte sie das für das nächste Mal nur umso geiler.
Sie wollten immer mehr von dem harten Hund, den er sich auf die Fahnen geschrieben hatte.
Sie gaben vor sich von ihm in die Abgründe der Zweisamkeit führen zu lassen.
Aber mit den Jahren, mit Erhöhung seines Sättigungsgrades, wurde ihm der Umkehrschluss mit jedem Mal bewusster. Sie führten ihn mit ihrer Geilheit, ihren Wünschen. Er war derjenige der gierig auf die Happen ihrer Wünsche wartete die sie ihm zum Fraß vorwarfen. Jeden heimlichen, vorsichtig geäußerten Wunsch nahm er willenlos an und machte sich an die Umsetzung.
Er plante, organisierte und bereitete vor. Natürlich immer möglichst authentisch. Und wenn eine sich mit ihren eigenen Wünschen überfordert hatte, dann fing er alles Leid am Ende auf. Er tröstete, redete Stunde um Stunde, hielt sie weinend in den Armen und analysierte was geschehen war.
Eine hatte einmal zu ihm gesagt dass er es ja leicht hätte, er würde ja nur machen und sie wäre diejenige die all das aushalten müsse, sich überwinden und all das.
Und schließlich würde sie es ja nur und ausschließlich für ihn tun.
Ihr gieriger Blick, wenn er sie gefesselt vor sich liegen hatte und ihr seufzen und stöhnen sprachen eine andere Sprache. Aber wem, wenn nicht ihm, sollten sie Vorwürfe machen, wenn sie sich zu weit vor gewagt hatten?
Sie lasen ihm seine Wünsche von den Augen ab und pflückten sich davon was sie dachten in eigene Wünsche umwandeln zu können. Ihm zu Gefallen und zu gefallen.
Sie spielten über dem Abgrund ihrer skelettierten Vergangenheiten und erwarteten dass er jederzeit ein Netz unter ihnen gespannt hielt.

Nicht ohne Stolz führte er ihre Willigkeit anderen vor, sonnte sich in der Bereitwilligkeit. Letztlich auch ein Beweis für seine Führungsqualitäten. Wer sich mit und auf ihn einließ, der wusste wohin der Weg gehen könnte. Aber nie war er einer zu weit voraus. Er forderte nicht, er erwartete, aber stets im Maß dessen was sie bereit waren zu erfüllen.
Manchmal stand ihm die eigene Geilheit dabei etwas im Wege, wenn er Potential entdeckte, genau wusste dass mit einer dieses oder jenes möglich sein würde. Und er musste sich bremsen nicht zu hastig vorzugehen, auf ihr Einverständnis zu warten.
Und er entwickelte eigene Taktiken der Manipulation. Aus dem drohenden: „ Du wirst für mich...“ wurde das fragende: „Willst du für mich...“. Zeit genug darüber nachzudenken, sich mit dem Gedanken zu befassen und anzufreunden. Er sah das Ringen in ihren Augen zwischen ihren und seinen Vorstellungen, bis sie sich entschlossen zu wollen.
Solange hielt er sie hin, mit gezielten Schlägen und Worten.
Sie gaben ihm die Möglichkeit in ihre Gedanken, ihre Leben und Körper einzudringen, wann immer es ihm beliebte. Er befahl, forderte, verbot und strafte, wann und wo er wollte.
Er stellte sie vor kleine, nicht unlösbare Alltagsprobleme. Zwang sie zur Eile, ließ sie warten , ignorierte sie und sie fochten ihre kleinen Kämpfe mit sich und mit ihm.
Er führte sie entlang ihrer Grenzen, hin zu ihren Wünschen und seinem Willen.
Das war lange Zeit sein Vergnügen.

Aber inzwischen war er all dessen müde geworden und er wünschte sich die Bequemlichkeit des Zurücklehnens. Weniger Wünsche ihrerseits und mehr freiwillige Willenlosigkeit. Er fragte sich wie das erfüllbar wäre. Etwas puppenhaftes kam ihm dabei in den Sinn das mit seinen Vorstellungen kollidierte. Sicher wäre es nicht allzu schwer so eine zu finden, aber dann wäre wieder seine Achtsamkeit gefordert, die Waagschale zwischen totaler Aufgabe und Eigenständigkeit im Blick zu behalten. Und Totalität war ihm in jeder Beziehung ein Gräuel.
Das nannte man wohl an einem Scheideweg stehen. Nur wusste er nicht einmal wohin die Wege führen würden, geschweige denn wohin er gehen wollte.
Im Grunde wäre er am liebsten einfach stehen geblieben im vor oder zurück. Sich einfach treiben lassen ins Irgendwo.
Der Gedanke an ein - sich treiben lassen - hinterließ eine bittere Süße. Vielleicht zu einer die keinen festen Standpunkt hatte bei alle dem, die die Führung wollte. Wissen wie es wäre, auf der anderen Seite dessen. Wie sich das anfühlte. Aber welche Wünsche hatte er noch offen? Wo wollte er Vermutungen in Gewissheit umsetzen? Er hatte das Gefühl alles bereits zu wissen, keine Neugier mehr fühlen zu können.
Was, wenn sich nichts entwickelte in ihm? Keine Gier, keine Geilheit, kein gefallen wollen. Er fragte sich wann, und vor allem wie schnell, das was er jetzt war wieder zum Vorschein kommen würde. Und ob er diese Kämpfe wollte, sich selbst immer wieder nieder zu ringen.
Möglichkeiten lagen wie spiegelblinde Landkarten vor ihm: Nur Linien, ohne feste Bezeichnungen und vor allem ohne Maßstab an dem man ansetzen konnte.
Er fühlte sich hilflos in seinen Möglichkeiten. Ob einer Frau die offensichtliche Führung überhaupt möglich wäre bei ihm. Generell gestand er Frauen dabei schon hohe Qualitäten zu, dafür hatte ihn ihre Härte und Konsequenz oft genug in Erstaunen versetzt. Aber vielleicht wäre es bei ihm ja anders und er würde sich nur einem ebenbürtigen beugen können. Vielleicht wäre genau das der Punkt der Selbstüberwindung den er an sich selbst stellen musste um ergründen zu können was sich dahinter verbarg.
Er musste dort ansetzen wo er bis jetzt etwas erfolgreich vor sich selbst verborgen hatte, seine eigenen Abgründe erschließen und ihre Schluchten mit geschlossenen Augen betreten.

Er würde das wählen müssen, was ihm selbst am wenigsten vorstellbar für sich wäre um dorthin zu gelangen wo er sein Ziel sah.


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