Sonntag, 10. Oktober 2010

Das Haus


Rostig quietscht das schwere Eisentor in den Angeln.
In guten Zeiten ließ es sich leicht weit aufstoßen und der Park dahinter war blühend und lichtdurchflutet. Der Weg sauber geharkt, ein klarer Pfad den man nur zu gehen brauchte um ans Ziel zu gelangen. Es war ein leichtes in Tagträumen zu verweilen bevor man das Haus erreichte. Verheißungsvoll lehnten Rosen am Spalier, Päonien lockten vielversprechend mit ihren aufgeplusterten Blütenköpfen und zwischen den Buchshecken lagen geführt die Umwege. Es drängte keine Eile, das Ende des Weges lag im Licht, ein wenig erhaben über allem.
Das Haus mit der schweren Tür die man nur aufzustoßen brauchte um einzutreten in all die Zimmer der Möglichkeiten. Alle Räume angefüllt mit Wärme. Große Fenster die das Licht herein ließen und durch deren Glas man den Blick weit in die Zukunft schweifen lassen konnte. Alle Türen weit geöffnet, keine Geheimnisse dahinter. Geschwungene Treppen bahnten leichtfüßige Wege von Etage zu Etage.
Jeder Ton ein heller Klang zwischen den Wänden, der seinem Echo begegnete und sich wieder zurückwarf zum Ausgangspunkt, an dem er mit einem wissenden Lächeln aufgefangen wurde.
Ein Haus zum Bleiben, zum darin leben auf lange Zeit.

Die Töne ließen als erstes die Veränderung spüren. Kein Gleichklang mehr, keine Antworten mehr auf stumm ausgesandte Rufe. Dem Leichten mischte sich ein schwermütiger Unterton bei und aus dem gemeinsamen Singsang wurde ein beständiges Brummen im Hintergrund, so als wäre es der Vorton einer Sirene die gleich Alarm geben könnte.
Wolken zogen auf, warfen Schatten in die Räume. Hinter den Scheiben versank der Blick in schweren Nebeln die sich behäbig über alles legten was dort zuvor so klar und eindeutig zu sehen war.
Die Türen fielen langsam eine nach der anderen zu, Dunkelheit machte sich breit, ließ die Stufen zu Stolperfallen werden.
Aus der Selbstverständlichkeit mit der man vorher ein Zimmer betreten hatte, wurde ein zaghaftes Anklopfen mit der Bitte um Einlass. Die Tür am Eingang immer öfter verschlossen und nur der Zug an der schweren Glocke ermöglichte den Zutritt.
Über den Park legte sich ein süßlicher Hauch von Fäulnis von den vermoderten Blüten und der Laubschicht. Niemand schnitt den Buchs und harkte die Wege, weil sich alles Sein auf die Schwere konzentrierte die im Haus Einzug gehalten hatte, bis Stille die Töne gänzlich zum verklingen brachte und das Atmen in der staubigen Luft zunehmend schwerer fiel, die einem immer öfter die Tränen in die Augen trieb.

Selbst das Eisentor trieb ein düsterer Wind so, dass es zufiel, aber nicht gänzlich ins Schloss, wo es zweifellos durch den Rost wie verschmolzen wäre und nicht mehr zu öffnen. Es brauchte Kraft es zu öffnen und gelang nur wenn man die schrillen Rosttöne überhören wollte, die einem wie eine Warnung entgegen schlugen.
Langhaarige Flechten hingen von den Bäumen und wehten sich einem ins Gesicht wenn man darunter durch ging, als wollten sie einen vom weitergehen abhalten. Das Laub legte sich schwer auf die Füße, die sich im ungeschnittenen Gestrüpp verfingen, da der Weg nicht mehr zu erkennen war. Nebel ließen jeden Atemzug wie schwere Luft erscheinen, die man keuchend im vorwärts gehen einsog.
Der Weg zum Haus nur mehr eine Ahnung die im Dunkeln lag.
Die Glocke am Eingang eisig bewegungslos festgefroren, doch irgendwo verborgen ein Schlüssel. Einzig neu war das Schild: Betreten verboten! Einsturzgefahr!
Die Tür öffnet sich gegen Widerstand, als würde sich jemand von drinnen dagegen stemmen. Nur ein schwacher Lichtschein begleitet die ersten Schritte, bevor die Tür hinter einem wieder ins Schloss fällt.

Tastend blinde Bewegungen durch Räume die einst so vertraut waren. Geräusche verschlucken sich selbst, bis auf das Wimmern hinter den geschlossenen Türen.
Pelziger Staub wirbelt bei jedem Schritt unsichtbar auf.
Einst gab es hier nur gelassene Fröhlichkeit, die jetzt einer dumpfen Angst und ihrer Sorge Raum geschaffen hat, die sich einem auf die Schulter legen.
Vor dem Öffnen jeder einzelnen Tür ist man gewappnet vor der Düsternis, die einem dahinter bitter entgegen schlagen könnte. Trotzdem muss jede Tür geöffnet werden.
Man möchte die Vorhänge herunter reißen, die Fenster weit aufstoßen, Licht und Luft in den Jahre alten Moder lassen. All das alte, das wehmütige zum Fenster hinaus werfen, Platz und Raum schaffen. Aber das ist nicht das Ziel.
Das Ziel liegt hinter einer der Türen, wo es sich in einem Zimmer in der Ecke verkrochen hat. Es wollte Raum zum Atmen und sitzt jetzt dort mit angehaltenem Atem und schweigt sich schluchzend aus.

Vor der Tür ein kurzes innehalten, überlegen ob es gilt anzuklopfen oder herein zu stürmen und entscheidet sich dann dafür durch das Holz zu sprechen.
Fragen nach dem warum auf die es keine Antwort gibt. Keine Antwort ist immer eine schlechte Begründung und langsam senkt sich die Klinke, öffnet sich die Tür.
Ein Blick auf das Gegenüber und alles quillt über, macht die Zwischenräume wärmer.
Zurückhaltung stellt sich dem Willen zum Halten wollen entgegen, zu groß der Schritt.
Stille Worte von Ecke zu Ecke, dort sitzt man gegenüber, mit dem Rücken an der Wand. Wer sich in eine Ecke zurückzieht sitzt immer mit dem Rücken an der Wand und hat keine weiteren Möglichkeiten zum Rückzug mehr, außer dem Schutzwall bleibt nur der Weg nach vorn, wenn man dort nicht verharren will. Das gibt Hoffnung, wenn nur zwei diesen Raum kennen.
Ein Wind bauscht den Stoff am Fenster, lässt Streifen aus Licht auf dem Boden tänzeln, an denen man sich entlang hangeln kann wie an einer Strickleiter, die von einem zum anderen führt.
Mit dem Licht weht ein Hauch des vergangenen Sommers ins Zimmer, treibt ein wenig um im Raum und zerrt an den Spinnweben die sich verbergend um Altes legen wollten um es dem klaren Blick zu entziehen. Ein Finger schiebt sich in eines der bauchig wehenden Netze und zupft es mit einem leisen Klang entzwei.
Der Ton ein Wunsch, dass Zimmer wieder heller werden zu lassen, Wärme einfluten zu lassen und Licht zum Sehen und gesehen werden.

Wohlig kriechend wischt der Körper eine Spur durch den Staub, die in der anderen Ecke endet und sich dort niederlässt. Eine Hand schiebt sich um die Fesseln wie ein Halt. Blicke treffen ineinander, Hand schiebt sich in Hand, Finger kriechen ineinander und halten sich bis es Zeit ist aufzustehen und wieder schutzlos in der Mitte des Raumes zu sein und von dort das Haus zu durchwandern.
Bis alle Räume wieder bis oben angefüllt sind mit Träumen. Ausgeliefert im Vertrauen darauf, dass dieses Haus wieder lichter wird, so wie es war und das Schild an der Tür überflüssig ist.
Bis aller Staub und Moder im Haus und die Fäulnis im Park wieder weichen und gefühltes Leben wieder in voller Blüte steht und die Wege wieder klarer erscheinen.








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