Sonntag, 9. November 2008 - 19:51
Uhr
In effigie
In effigie
Wieder und wieder trafen sie die Knüppelhiebe. Dort wo noch Fleisch war über den Knochen spürte sie das berstende Klaffen.
Aber spürte sie noch, immernoch?
Zuviel Zeit war ihr zerronnen seit dem Sommer.
Eines abends stand er vor ihrer Tür, bat um einen Kanten Brot und um etwas Wasser. Ein verloddertes Bild des Jammers und nur wer ihn bei Licht besah, konnte erkennen das unter den zerschlissenen Lumpen etwas feingeistiges steckten mochte. So empfand sie die Frage nach Brot und Wasser auch nicht als Bettelei, sondern erkannte darin eine unwiderstehliche Bitte und ließ ihn eintreten.
Im Schein der einzige rußigen Kerze saß sie ihm gegenüber und sah, wie er trotz des Hungers an sich hielt, erkannte sie doch das vornehme in ihm.
Was ihn so weit trieb fragte sie und er antwortete geographisch, wobei ihre Frage eher biographisch gedacht war.
Er erzählte von Halunken, Steuereintreibern und von bösen Gerüchten, die man zu seinen Ungunsten gestreut hatte, und wie sie ihn drohend von weit vor sich her getrieben hatten.
Mitleid ließ sie das Feuer im Herd anfachen und ihm in großen Kesseln ein Bad bereiten, wollte sie doch sehen, was sich unter dem zerrissenen verbarg. Jedes Mal, wenn sie heißes Wasser nachgoss sah sie verstohlen auf seinen schmutzigen Körper und bestaunte still seine struppige Männlichkeit.
Nach einer reichlichen Stunde entstieg er dem Bade und wirkte anders, größer als zuvor. Sie hielt ihm die Kleider ihres Verstorbenen an, ob sie wohl passen mögen.
Den Sonntagsstaat hatte sie ihm rausgesucht, dem wäre er gerade gerecht.
Aus dem Lumperich wurde zusehends ein Herr und sie fühlte wie früher, wenn der ihrige Sonntags nach dem Kirchgang ihr gegenüber saß.
Wohl auch wegen dem heimischen fühlen und der langen Enthaltsamkeit teilten sie bald schon das nächtliche Lager.
Das erste Mal war sie froh um die ferne Nachbarschaft, so sehr genoss sie sein zerren und reißen und schlagen.
Vertraulich fühlte sie und so zeigte sie am Morgen danach, was sie in den einsamen Nächten tat, mit dem kratzenden Federkiel auf vergilbtem Bütten, den sie gefunden hatte, in der alten Kiste.
Das Geschriebene war dem nächtlich erlebtem so nah, als wäre sie am Morgen noch vor dem ersten Hahnenschrei aufgestanden um es niederzuschreiben.
Mit gesenktem Kopf und versunkenem Seufzen saß er ihr gegenüber und sie wartete mit schamroten Wangen was für ein Urteil er wohl über sie fällen würde.
Er nahm sie, erst auf den Schoß und an den folgenden Tagen und Nächten überall und immer, wie es ihm gefiel.
Gezeichnet ihr Körper mit lustvollen Spuren in allen möglichen Farben.
Am sechsten Morgen erwachte sie alleine im Stroh.
Der schuftige hatte sich grußlos aufgemacht.
Sie trauerte um ihn und um ihre Schriften, die mit ihm entschwunden waren.
In ihrer Trauer hatte sie durch sein Tun genug Nahrung für neuerliches.
Und so saß sie wieder in den Nächten federkratzend bei Kerzenlicht, wenn Anständige keusch sich in den Federn drehten.
Sie hörte die Meute kommen, bevor der Hahn krähen konnte.
Nichtsahnend wähnte sie einen feierlichen Fackelzug, bis die Stimmen sich mehr und mehr erhoben.
Liderliche, Hexe, Sünderin, Schamlose, Ketzerin, drang es in ihre Hütte.
Unschuldsbewusst blieb sie, anstatt zu flüchten, bevor drohende Fäuste an das derbe Holz schlugen.
Ungläubig öffnete sie denen, die gestern noch ihre Nachbarn waren, und die betend neben ihr in der Kirchbank gesessen hatten.
Hohn und Spott schreiend trieben sie die an ihre Unschuld glaubende vor sich her. Selbst die Kinder machten keinen Halt vor unflätigen Worten und einzelne spuckten ihr ins Gesicht.
Keiner kam ihr nahe genug um ihr Fragen zu stellen, sie zu dem Ungeheuerlichen zu befragen.
Und in dieser bitterlich kalten Nacht hatten sie ihre helle Freude daran, das unterdrückte an ihr auszulassen.
Der Weg in die nächste Stadt war lang, noch länger als sonst, wenn sie Schuhwerk an den Füßen trug.
Wie die wilden Krähen umflatterten sie ihren Körper, rissen ihr die Kleider in Fetzen und nach und nach vom Leib, bis sie sich haltlos nur noch mit den Händen bedecken konnte. Wie von Sinnen umkreisten sie kreischend ihre Beute und rupften ihr im Triumpfgeheul über das Böse die Haare büschelweise vom Haupt.
Im Morgengrauen sah sie die Stadt am Horizont und flehte um Gerechtigkeit, oder wenigstens Gnade.
Aber ihr aufreglerisches Werk hatte sich herumgesprochen, waren doch vielerlei Zoten in den Wirtshäusern darüber gerissen worden.
Und manch eine Maid hatte die Auswirkungen mehr oder weniger genießen dürfen.
Die Menge erwartete die Sünderin und war mehr als bereit sie büßen zu sehen.
Ein paar wenige in der grölende Menge fragten nach dem warum und wurden mit der Aussicht des gleichen Schicksals zum Schweigen gebracht.
Nackt und kahl band man sie über dem Reisighaufen an und legte schwelende Brände am Grund.
Ein einzelnes altes Weib verlangte kreischend, man sollte ihr die Finger abhacken, damit sie in der Hölle nicht noch den Teufel verführen könne, mit ihrem unseligen Werk, woraufhin die Menge Beifall grölte.
Durch den Rauch sah sie, wie sich die Menge teilte und der Pfarrer sich näherte.
Sie solle um Vergebung flehen, für ihre schändlichen Schriften, die er nun dem Feuer übergeben würde.
Durch die auflodernden Flammen sah sie, wie sich die Ränder des Büttens schwarz verfärbten und Aschefunken ihrer Liebesschriften im wogendem Tanz in den Himmel schwebten.
Ohne verstanden haben zu können, gab sie sich um Gnade flehend der Hitze hin.
Die Menge johlte wie im Wahn, als ihre Schreie langsam erstarben.
Den einen aber, der im Sonntagsstaat eines anderen, sich ein Bündel Bütten unter den Arm schob und die Stadt verließ, den sahen sie nicht.
Der aber war auf dem Weg in die nächste Stadt, wo er glaubte die Schriften wohl an den Mann bringen zu können und im Geiste zählte er schon die klappernden Münzen.
Montag, 3. November 2008 - 21:02
Uhr
Die Dörfnerin
Die Dörfnerin
"Jaja, das Alter," dachte sie, während sie mit leisem puuutt-putt-putt die Körner ausstreute. Mit den Jahren hatte sie sich in Gang und Bewegung den Hühnern angeglichen.
In den staubigen Wolken zu ihren Füßen scharrten die Tiere gleichmäßig nickend nach dem guten Korn. Ihr Nicken und Knie heben im Takt schuf den Hühnern Sicherheit, auch wenn sie statt des Korns ein kleines rotes Beil in der Hand trug.
Manchmal musste es sein, dann musste etwas dran glauben, wenn schon nicht mehr sie.
Leise griff sie nach dem vertrauten Federvieh, schob es zwischen Achsel und Busen und das Tier lauschte ohne Argwohn dem Klopfen, wandte ihr den Kopf zu wenn sie streichelnd vor dem Klotz verharrte.
Dann gab es ein kurzes, klagendes Starren aus schwarzen Augen, bis sich ihre Hand darüber legte. Ohne Aufregung bettete sie das Tier auf dem letzten Lager, strich noch einmal die Gurgel entlang und hatte das Bild von etwas fleischlichem vor Augen, das ihr wieder einmal nutzlos wo hingedrungen war.
Wenn es schlimm war, dann dachte sie kurz daran, dem lebenden Tier den Kopf einfach mit den Zähnen vom Leib zu reißen, aber das hatte sie niemand gelehrt.
Ihr Atem ging ruhig, wenn sie den Arm hob und kurz den vergangenen Wunschfilm sah.
Haut und Fleisch, das sich auf sie zu bewegte, schlaff oder stramm, von Fall zu Fall.
Ihre Hand fühlte nichts fedriges mehr und beim Ausatmen schlug das Beil nicht in ein Huhn.
Den Schwanzkopf in der Hand sah sie zu, wie sich das letzte Leben noch ausflatterte, bis es mit zuckendem Flügelschlag im Sand erstarb.
Mit wenigen Griffen zog sie gekonnt das Leben aus dem Inneren und schaute einen Moment auf das noch warme Herz.
„Friss Hund, oder stirb!“
Sie rupfte ohne Brühen und der Wind blies die Traumfederhoffnungen fort, die sie einzeln seufzend verfolgte.
Für Huhn gab es bei ihr zwei Möglichkeiten.
Suppenhuhn, wenn sie ärgerlich mit sich selbst war, dann fasste sie es an der Gurgel und platsch landete es im Wasser. Dann hackte sie sich heil an Kraut und Gemüse.
Und warf später die schlabberige Haut zu den Katzen.
Und Brathuhn war ihre Wahl wenn sie zornig auf den anderen war. Dann saß sie stundenlang und sah, wie die Haut sich kräuselte und das Tier sich wand und ein wenig schrumpfte in seiner Qual.
Manchmal gab es auch so kleine pfeifende Geräusche von sich, wenn irgendwo etwas entschwand, Luft oder Fett oder Seele.
Dabei war ihr vor lauter Pein auch das ein oder andere Huhn schon gänzlich verschwärzt
Und erst wenn der beißende Rauch ihr Tränen in die Augen trieb, zu den anderen, dann stand sie auf, packte den kohlschwarzen Rest und trug das mit bloßen Händen zu der Tonne, auf den sie den scheppernden Deckel warf.
Mit den Jahren aß sie nur noch selten Hühnersuppe, bei der letzten hatte sie an Emil gedacht, der sie im Stall an die Leiter gebunden hatte, an der sonst die Ferkel hingen, die er mit zwei kurzen Schnitten von jeglichem Verlangen befreite.
Dann hatte er unter ihr Kleid gefasst und die zwei Schichten Baumwolle und Wolle bis an den Gummirand ihrer Stiefel geschoben und war unschicklich in sie eingedrungen.
Ihre Scham ob des Pulsierens in ihr war grenzenlos und am Ende säuberte er sie beide mit einer Handvoll Stroh. Die Schnitte vom struppigen Hanf verglich sie drei Tage später mit denen der Hanna und schlachtete am nächsten Tag das Huhn für die Suppe.
Aber seit dem war auch schon vieles vergangen und die Hühner wurden inzwischen merklich älter. Jetzt schlachtete sie nur noch an Sonntagen, nach dem Kirchgang, wenn am Tag vorher ein Fest im Dorf gewesen war und sie mit einem als letzte ging.
So, wie gestern nach dem Feuerwehrfest.
Suchend schaute sie nach dem Hahn.
Der stand in der Ecke vom Hock, sein Schicksal ahnend.
Aber für den Herrn Pfarrer musste es schon was besonderes sein.
Samstag, 1. November 2008 - 22:47
Uhr
fest - halten
fest - halten
mit der Zeit hat sich
alles so weggezweifelt
hat gewonnen an sich
sich uns durchgerungen
nichts zu verschenken
geben nichts einfach hin
und legen oder werfen
uns nichts zu Füßen
wir sollten nicht weniger
als immer alles geben
wissen an wem wir sind
kein ängstliches halten
nur frei davon kann es
wachsen und werden
sich mittig fügen
und sich finden
bei dir kann ich sein
kleiner gerne-groß
große gerne-klein
wenn ich fall
vor deine Füße
stellst du mich auf
wenn du dunkel bist
mach ich dich hell
das braucht keine
dramatischen Gesten
weils ist wie es ist
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen