Er spricht ohne sie
anzusehen, nichts von Belang. Redet einfach nur um des Redens willen,
als würde er sich damit selbst seiner Anwesenheit in diesem Raum, im
Jetzt, in der Zweisamkeit versichern. Wer zu zweit ist hat einen
Grund zum Reden, egal was er sagt.
Im Alleinsein wirkt es oft
lächerlich, egal wie wichtig und gehaltvoll die eigenen Worte
klingen. Aber es merkt ja niemand wie lächerlich man sich dabei
macht. Nur bei den wenigen die über die Jahre immer lauter werden um
damit die Einsamkeit im Inneren zu übertönen. Man hört sie durch
Wände und Türen, wie sie seufzen, stöhnen, schimpfen und betont
laut husten. Ein morgendlicher Husten der klingt als würden sie
ersticken wenn nicht sofort jemand käme, mit dem sie die ganze
schleimige Verzweiflung der Nacht nach oben würgen und in einem
gelben Klumpen ausspeien.
Sie sieht ihn von der
Seite an, er sitzt in einem 90 Grad Winkel zu ihr, wie genau
berechnet. Seine Wange, sein Kiefer, seine Lippen bewegen sich. Sie
hört seine Stimme, aber weder den Klang noch die Worte, kann keinen
Sinn in die Bewegungen bringen. Wie gesagt, seine Worte sind ohne
Belang im Moment.
Er beugt sich vor zum
Tisch, greift in die Schale mit den Süßigkeiten und schiebt sich
etwas davon in den Mund, kaut in mahlenden Bewegungen, spricht einen
Augenblick später weiter. Sie stellt sich vor wie seine Worte jetzt
klingen, begleitet von leisem Schmatzen und gedämpft durch den halb
zerkauten Inhalt in seinem Mund.
Langsam entfernt er sich
von ihr. Das Bild von ihm vor ihren Augen wird zunehmend kleiner, als
würden sie auseinanderdriften wie Eisschollen nach dem kalben eines
Gletschers. Nur das Getöse fehlt, wenn das Eis abreißt und ins Meer
stürzt.
Er soll bleiben, sich
nicht entfernen. Keine unüberwindbare Schlucht soll sich zwischen
ihnen bilden, der Faden der sie aneinander bindet nicht abreißen.
In ihre Gedanken schrillt
das Freizeichen eines Telefons und die gefühllose Frauenstimme, die
unbewegt verkündet dass die Verbindung unterbrochen wurde.
Ob die Frau sich jemals
Gedanken gemacht hat in welche Gespräche sie ihren Satz hineinwirft?
Vielleicht war es der
letzte mögliche Anruf, bevor ein Sturm die Leitungen zerstört, oder
die letzte Bewegung eines Sterbenden und seine letzten Worte, die
letzten Worte in einer Feuersbrunst oder anderen Katastrophen.
Holen die Leute bei
Flugzeugabstürzen nicht kollektiv ihre Mobils hervor um, trotz
Verbot, ihre Nächsten über das Bevorstehende zu informieren, sich
zu verabschieden.
Und am anderen Ende der
Welt fangen die Angerufenen an zu beten, zu bitten, zu betteln. Drei
Worte die sich ähneln und nur bedingt im Zusammenhang stehen.
Sie will keines von all
dem, will nur verhindern dass sie die Entfernung aushalten muss. Es
fühlt sich an wie ein Untergang, aber wie kann man SOS funken wenn
es gerade nur um eine Seele geht, weil der andere nichts davon fühlt,
weil er es nicht wahrnimmt.
Sie hört ihn nicht,
vielleicht kann sie die Entfernung verhindern wenn sie nicht
hinsieht, wenn sie verschwindet statt seiner. Sie schlägt die Hände
vors Gesicht, presst die Fäuste wie ein Kind gegen die Augen.
Dahinter bilden sich kreisende rote und weiße Punkte die lautlos in
ihrem Kopf surren.
Dass er sie ansieht sieht
sie nicht. Sie ist nicht mehr da.
„Was tust du da?“
Durch das Surren hört sie seine Stimme, sein Gesicht und die Worte
sind ihr zugewandt.
„Ich bin nicht mehr
da.Gegangen bevor du gehst.“
Zwischen den gleißenden
Punkten hinter den Fäusten erscheint ihr das Bild eines glühenden
Kraters, an dessen Rand sie steht und mit der Fußspitze ein
viersilbiges Wort in die Asche scharrt.
Er denkt kurz darüber
nach ihr die Hand über Mund und Nase zu legen um die fehlende Nähe
wieder herzustellen. Sie wird dadurch nicht umhin kommen die Hände
von den Augen zu nehmen, damit er sieht wie nah sie ihm doch ist.
Egal wie weit sie sich von ihm entfernt, das ist der Ort an dem sie
für ihn immer wieder in greifbare Nähe rückt.
Seine Hand verharrt in der
Luft in der Mitte zwischen ihnen. Sie wird Gründe haben, denkt er
und lässt sie wieder sinken. Vermutlich möchte sie dass er ihre
Gründe kennt oder zumindest erahnt, aber er weiß ja nicht einmal
wie es sich anfühlen würde, wenn er nicht mehr da wäre. Wie soll
er da wissen wie es wäre wenn sie nicht mehr da wäre.
Ihr stockt die Frage, was
wäre wenn, als Unmöglichkeit in der Kehle, weil sie sich vor den
Möglichkeiten seiner Antwort scheut.
Sie wird die Antwort
auflösen, wie sich die Punkte vor ihren Augen nach einer Weile
auflösen werden, wenn sie die Fäuste wieder senkt und langsam vom
Rand des glühenden Kraters zurücktritt.
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