Sonntag, 11. Januar 2009 - 15:33 Uhr
auf - gelöst
Mitten im plötzlich treffen sich die Blicke,
ihrer senkt sich zwanglos zwangsläufig,
während seiner beharrlich auf dies senken beharrt.
Seine Worte, wie Nadelspitzen, kehren alles um,
was eben noch so ebenbürtig schien.
Im Denken kommt ihr der Boden näher,
freier Fall der Sinne, ohne Netz.
Aufgabe, stehend bloßgestellt ertragen müssen,
keine Antwort wissen.
Fragen bohren sich ins Denken,
rotieren um sich und die richtigen Worte,
die folgerichtig falsch nur sein können.
Scham darob macht klein und kleiner,
hinsinken können wäre jetzt erlösend.
Darum bitten, wäre zu infam
und so jetzt nicht gewollt.
Dahintreiben, getrieben werden, treiben lassen
treffend Schlag um Schlag, Wort um Wort.
Das brennt nicht nur äußerlich sich ein,
betreten, betroffen auch davon.
Wo Schmerz nicht wirkt treffen Worte,
greifen direkt ins Seelenmark.
Räumen aus was im Wege ist,
bis ans Ende der gewagten Tränen,
dort wo unten ist.
Keine Wucht, kein Kampf, ein gleiten nur,
und letzten Endes nur ein sinken.
Spuren schwarz zerflossen im Gesicht
rot auf blasser Haut, bläuliches - erahnend
das es bleibt für eine Weile.
Für eine Weile nur so bleiben,
Haut an Haut sich Nähe bahnend,
im auszittern den Rauch genießen.
Halten was da ist zwischen zweien.
honeymoon
Vor Stunden hatte sie am Fenster gestanden und reglos auf den hell erleuchteten, sandigen Hofplatz gestarrt.
In den Häusern rundum waren längst alle Lichter erloschen.
Hier begann man sein Tagwerk früh mit den Hühnern und beendete es meist kurz nach dem letzten Hahnenschrei.
Manchmal brannte noch eine einzelne Funzel, weil es noch etwas zu flicken oder zu richten gab, letzte Vorbereitungen für den nächsten Tag.
Sie hätte auch müde unter die dicken Daunen kriechen sollen, mit Rücken und Hinterteil das Strohlager unter sich in passende Kuhlen rücken, und dann schlafen.
Aber manches konnte sie an bestimmten Tagen nicht ausblenden.
Und wenn der Mond mit wachsender Nacht immer näher zu ihr kroch, dann war an Schlaf nicht zu denken.
Sie dachte an den Wurf junger Katzen, der jetzt draußen im Schuppen ins Fell der grauen Katze kroch. Das hätte sie schon vor vier Wochen erledigen sollen, aber sie hatte dagestanden, die kleinen wimmernden Bündel in der Hand, vor sich den Zinkeimer voll Wasser.
In Gedanken sah sie die strampelnden kleinen Pfoten und die ewig lang aufsteigenden Luftblasen und sie hatte eines nach dem anderen wieder vom Boden aufgesammelt und in die Schürzentaschen gestopft. Dann war sie zurück in den Schuppen gestapft und hatte der sich putzenden Katze ihre Jungen samt schlechtem Gewissen wieder untergeschoben: " Verdammte Hur, verdammte Kater!"
Einmal in ihrem Leben, ein einziges Mal hatte sie sich auch vergessen, damals mit dem Ludwig, hinter dem Stall.
Nichts hatte sie gesagt, dabei keinen Ton, und in den Monaten danach kein Wort, bis es unübersehbar wurde.
Windelweich hatte der Vater sie geprügelt, auch das hatte sie schweigend ertragen, war er doch im Recht, als er sie Hure schimpfte, denn Liebe war das nicht.
Man verbot ihr für den Rest der Zeit den Hof zu verlassen und verpflichte das Gesinde zum Schweigen.
Am Ende hatte dann die alte Magd das Kind mit den Füßen voran in die Welt gezerrt.
Alles an und in ihr riss, als man das leblose Bündel in einen alten Sack stopfte und der Vater damit im Wald verschwand und eine Stunde später schwitzend mit dem leeren Sack in der Hand zurückkehrte.
Damit war die Sünde begraben, aber nicht vergessen.
Fortan sprach er kein Wort mehr mit ihr.
Am nächsten Tag schickte man sie wieder hinaus aufs Feld.
Abseits der anderen sah sie, wie Ludwig dort lachend mit den anderen scherzte und mit der Luise poussierte.
Trauer hatte weder Raum noch Zeit, worum hätte sie auch trauern können.
Das Balg hatte weder Geschlecht noch Namen.
Nachts, wenn sie sich schlaflos wälzte, nannte sie es manchmal
"mein Kind".
In ihren Träumen wuchs es heran und sie war ihm eine gute Mutter.
Aber nie wieder wollte sie einen Mann in das Schlachtfeld der Sünde unter ihren Röcken einlassen.
Lange Zeit, eine sehr lange Zeit, war ihr das auch gelungen.
Lumpenhunde waren sie allesamt in all den Jahren.
Wie der Ludwig, den hatte der Suff dahingerafft, nachdem die Luise die Niederkunft des fünften Kindes nicht überlebt hatte.
Steckengeblieben wars und man hatte beide miteinander begraben und dann die vier anderen im Dorf verteilt, nachdem der Ludwig nach der Beerdigung nichts anderes mehr tat, als Selbstgebrannten zu trinken und zu brennen und zu trinken und zu brennen.
Das war ihr dann wenigstens erspart geblieben, bei aller Schande.
Die Eltern starben Winter auf Winter und sie gab die Pacht und das Gesinde auf und hielt nur das letzte Stück eigenes Land.
Obst und Gemüse, eine Kuh und eine Sau, und von allem, den Teil, den sie für sich selbst nicht brauchte, vom Frühjahr bis zum Herbst für den Markt.
Genügsam war sie in all den Jahren, äußerlich und innerlich.
Sie litt keinen Hunger, keinen Durst und entbehrte auch sonst keine Wärme.
Es gab Arbeit für den Sommer und für den Winter, wobei der Winter stets mühseliger war.
Ihre Eltern waren nur seltene Kirchgänger gewesen, so vermisste man sie dort auch nicht, ebensowenig wie sonst im Dorf.
Sie ging nirgendwo hin und niemand kam zu ihr.
So konnte sie ihrer kleinen Sünde ungestört frönen.
Einmal in der Stadt hatte sie sich unsinnig verführen lassen.
Nein, nicht von einem Mann, sondern von einer Papeterie.
Im Fenster hatte sie all die Federn, Pinsel, Farben und Paletten bewundert.
Lange stand sie vor dem Fenster und überlegte, bis ein Herr in Schwarzem Mantel mit Pelzbesatz und Kinnbärtchen die Türglocke beim eintreten schellen ließ.
Magisch angezogen folgte sie ihm, bevor sich die Tür gänzlich schloss.
Der Geruch von Leim und Papier war überwältigend, einer der schönsten Düfte die sie je erreicht hatten.
Sie folgte dem Herrn wie ein Schatten und sog auf, was er an Wissen im Gespräch mit dem ältlichen Händler feilbot.
Augen und Ohren überwachten was er auf seinen Stapel legte, während ihre Hände hier und da über ein Stapel Bütten strichen.
Als er seine Runde beendet hatte und mit dem Händler in Richtung der protzigen Registrierkasse schritt blieb sie hinter dem Regal mit den kolorierten Karten zurück.
Das Bündel wurde sorgsam in Papier eingeschlagen und verschnürt, die Summe wurde in einem Block zu anderen addiert.
Ihre Augen folgten ihm und dem Klingeln der Türglocke, es wäre ein leichtes gewesen ihm wieder zu folgen, aber etwas hielt sie.
"Meine Dame, wie kann ich Ihnen behilflich sein? Welchen Wunsch kann ich Ihnen erfüllen?"
Meine Dame, seufzte sie in Gedanken.
"Ich nehme das gleiche wie der Herr eben!"
Nur kurz zeigte sich eine hochgezogene Augenbraue, und wenig später hielt sie ihr Paket mit Papier, Stiften und Kohle in der Hand.
Die zu zahlende Summe nahm sie nur am Rande als sehr hoch wahr und verließ den Laden ohne weiteres zögern.
Schwitzend und außer Atem erreichte sie am Nachmittag ihr Heim und wenig später saß sie an ihrem abgeschabten Küchentisch, all ihre Schätze vor sich ausgebreitet.
Sie griff nach Kohle und Papier und als erstes zeichnete sie den Herrn aus der Papeterie.
Wohliges Erschauern überlief sie als sie ihr Ergebnis betrachtete, so groß war die Ähnlichkeit.
In der folgenden Nacht träumte sie von ihm, und von sich, von ihnen beiden.
Der Tag zerrann in ewig langen Sekunden, bis endlich alles erledigt war und sie wieder zeichnen konnte.
Kurz schloss sie die Augen um die Bilder der Nacht wieder vor Augen zu haben, dann zeichnete sie ihn und sich, wie sie miteinander plaudernd im Park standen.
Sie träumte ihren Traum weiter, Nacht für Nacht und täglich zeichnete sie ihre Träume.
Wie sie sich langsam näherten, beim Kaffee, beim Diner, dann in seinem Salon, wie er ihr seine Werke vorführte.
Sequenz für Sequenz träumte und zeichnete sie.
Wie er dann sie zeichnete, erst im Portrait, dann als Akt.
Sie beide, nackt nebeneinander liegend auf dem Diwan, auf dem er sie eben noch gezeichnet hatte und ihre Leiber miteinander verschlungen, die Details seines Körpers, mit allen Falten, Haaren und vorstehenden Adern.
Seine Züchtigungen mit der flachen Hand auf ihrem Hinterteil und sie in demütigen, ruhigen Gesten zu seinen Füßen, seine Hand in ihrem zerwühlten Haar.
Alle Verwirrung ihrer Träume zeichnete sie sich aus den Gedanken und nur der feine Kohlestaub der sich mit der Zeit in den Ritzen der Küche niedersetzte verriet ihr sündiges Tun.
Nun stand sie hier am Fenster, sah hinauf in den hellgelben runden Mond und sann über den Traum der letzten Nacht nach.
Noch konnte sie die Bilder nicht zu Papier bringen, sie mussten erst noch eine Ordnung finden in ihrem Denken.
In ihren Träumen hatte er eine junge Frau zu ihnen eingeladen und sie hatten eine nachmittägliche Menage e troi, die sie alle drei genussvoll langsam hatten geschehen lassen und an deren Ende die junge Frau zu ihren Füßen saß und als sie den Kopf hob sah sie in ihr eigenes Gesicht.
"Mein Kind," hatte sie gesagt und dabei nach ihrem Kinn gefasst.
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