Montag, 4. Oktober 2010

Kirschenzeit - Einkehr - flüchtig

Freitag, 16. Juli 2010 - 16:11 Uhr
Kirschenzeit


Das Ziel kenn ich nicht
auch nicht den Sinn
verlier mich in losen
Gedankenspinnfäden
und seh dir zu
wie du dich lässig
in mein Leben lehnst
die Daumen locker
in meine Herzschlaufen hängst
und Schlinge um Schlinge
dich in mich knüpfst


***

selbstverständlich
ganz ohne Willen
schlägst du im Takt
mit Worten nach mir
greifst an mich
wo ich greifbar bin
und dringst dahin vor
wo ich dich lassen kann
sind gierig
aufeinander
jeder für sich
ahnen wir uns

***

tagträumende Gemeinsamkeiten
bis aus dem wollen
ein Wille wird
vielleicht auch nur
eine schillernde
Seifenblasenerinnerung
hab mir mitfühlend einen
wunschdenkenden Knoten
ins Haar geknüpft
und lass ihn wolkengleich
aufsteigen zu dir

***


im Kreidekreis der Verwirrung
ließ` ich dich frei
zerr` nicht am Ende
will nur ein Ganzes
mit Haut und Herz
legt sich
eine Schlinge um zwei
atemberaubend
zieht sie sich enger
zauberhaftsgleich
dieser Sturz
ohne Netz

***

wartend auf die
Kirschenzeit
spucken wir
die letzten Kerne weit
vollmundig genießen wir
bis dahin die süßen Früchte
nicht ohne Grund
aber ohne Zweifel
bin ich sicher
in dir




Freitag, 2. Juli 2010 - 19:47 Uhr
Einkehr

Sie hatte es einfach satt an diesem Abend, alles irgendwie. Wenigstens von allem etwas. Der Tag in der Firma hatte ihr den letzten Nerv geraubt und nach Feierabend war ihr nach Entspannung. Sie schwankte zwischen Schwimmbad und Kino und entschied sich dann für das Kino, weil ihr der Lärm im Schwimmbad immer die halbe Nacht in den Ohren hing.
Aber der Film konnte sie nicht wirklich fesseln, weil sie nicht am Thema bleiben konnte. Ihre Gedanken verfransten sich immer wieder in der eigenen Unzufriedenheit. Nach dem Ende des Films verließ sie fluchtartig das Kino um dann unentschlossen vor dem hell erleuchteten Eingang zu stehen, durch den schon die Besucher der nächsten Vorführung wieder hinein drängten.
Ein hauchfeiner Nieselregen legte sich auf ihre Schultern. Sie wollte jetzt nicht in die dunkle Wohnung zurückkehren, nicht sofort. Dort klang momentan jedes Geräusch hohl und aus jeder Ecke sprang sie etwas an, an dem sie sich festbeißen konnte.

Gegenüber des Kinos führt eine kleine Gasse zu weiteren engen Straßen der Altstadt. Die niedrigen Häuser dort stehen Mauer an Mauer und sind alle in den letzten Jahren restauriert worden. Die Fenster lassen Rückschlüsse auf die Bewohner zu.
Verspieltes wechselt sich mit nüchternem ab. Ihre Assoziationen dazu begleiten ihre Schritte und sie beurteilt die Menschen hinter den Mauern.
Architekten, Lehrer, Ärzte, meist ohne kindlichen Anhang, denn für Kinder ist hier nur wenig Platz.
Nur am Ende der Gasse gibt es ein Eckhaus das noch nicht restauriert ist. Dichte Falten in den verblichenen Stores, die die Einsicht verbergen. Osterkakteen, deren vertrocknete Blüten die Töpfe säumen, dazwischen Alpenveilchen mit gelb geränderten Blättern in denen sich die letzten Fliegen des Sommers ihrer tödlichen Ruhe hingeben, nachdem sie wahrscheinlich tagelang verzweifelt summend gegen die Fenster geflogen sind.
Sie bleibt unvermittelt vor dem Fenster stehen, wie vor einem Schaufenster. Das Ambiente lässt auf einen älteren Menschen schließen, entweder eine allein lebende alte Frau, die es nicht mehr schafft ihren Alltag in gewohnter Gründlichkeit zu erledigen, oder einen allein lebenden Mann, der die Gewohnheiten seiner Frau weiterhin bestehen lässt, auch wenn sie längst nicht mehr lebt.
So oder so eine unangenehme Vorstellung vom Alter und vom älter werden.

Sie reißt sich los von der Trostlosigkeit, schiebt die Hände ein wenig tiefer in die Taschen und geht weiter, als wäre sie gerade jetzt zu irgend etwas entschlossen.
Wahllos biegt sie um Straßenecken zwischen hohen alten Gebäuden. Vorbei an Frisörläden, Lottokiosken und türkischen Gemüsehändlern. Schmutzig grauer Stuck und farbloser Putz wechseln sich ab.
Die meisten Fenster sind bläulich erleuchtet von den Fernsehbildschirmen über die das Leben flimmert. Hinter einigen erheben sich erregte Stimmen in Zorn und Frust, die bis auf die Straße dringen.
Sie hatte gehofft bei dem Weg durch die Stadt etwas zu finden, das gegen die eigene Unzufriedenheit Wirkung zeigen würde.

Vor ihr vier gelbe Rechtecke auf dem Boden. Der Lichtschein durch das gelb eingetönte Glas zu der Gaststätte dahinter. Gelbes Glas mit runden Facetten wie Flaschenböden, für Blicke von außen undurchdringlich.
Über der Tür eine altersschwache Leuchtreklame, deren verbliebene Leuchtstoffröhre schon gefährlich flackert. Aber das scheint die Art Kneipe zu sein die keinen Namen braucht, weil hier sowieso immer die gleichen Gäste einkehren, generationsweise von den eigenen Nachkommen abgelöst.
Neben der Tür ein kleiner Schaukasten mit der üblichen Liste deutscher Hausmannskost und einer doppelt so langen Getränkeliste.

Später kann sie nicht mehr sagen warum sie die verschrammte Messingleiste nach innen gedrückt hat und hinein gegangen ist. Vielleicht hat sie etwas vertrautes gesucht, oder etwas das sich so anfühlen würde.
Einen Meter hinter der Tür noch ein schwerer Velourvorhang an einer Messingschiene, das war früher mal stilvoll, heute riecht der Stoff nach kaltem Rauch und all den sinnlosen Worten die sich in ihm verfangen.
Ein Ecktresen, ein paar unregelmäßig aufgestellte Tische, alles in dunklem Holz. Bügelfreie Tischdecken mit Plastikblumengestecken. Die Menschen wie zufällig an ihren Platz gestreut, ohne erkenntlichen Zusammenhang. Nur zwei ältere Männer diskutieren über Fußball. Die anderen schweigen, starren sie an als sie eintritt und starren wieder dorthin zurück wo sie vorher hingestarrt haben. Blicklose Leere, nur der Wirt hinter dem Tresen versucht freundlich zu sein als sie vor ihn tritt. Sie gibt sich Mühe sicherer zu erscheinen als sie eigentlich ist und weil ihr so schnell nichts anderes einfällt bestellt sie ein Bier. „Gezapft oder Flasche?“, fragt der Wirt, dessen behaarter Bauch sich zwischen Hemd und Hose zeigt als er ein Glas in das Regal über den Tresen stellt. „Flasche“, entscheidet sie. „Glas“ fragt er. Sie nickt.
Er stellt die Flasche vor sie hin, öffnet mit der gleichen Hand den Verschluss und kippt ihr etwas von dem Bier in das Glas, bis der Schaum den Rand erreicht und stellt dann beides vor ihr ab. Es lohnt nicht einen Strich auf einem Bierdeckel zu machen. Solche wie sie bleiben hier nicht lange. Mehr als ein Bier trinkt die eh nicht.
„Zwofuffzich“, damit ist von seiner Seite die Konversation vorerst beendet.
Sie legt ihm das Geld abgezählt auf den Tresen.

Ein Mann, jünger als die anderen Gäste, kommt aus einer Tür im hinteren Bereich. Wahrscheinlich von der Toilette, geht direkt zum Tresen, sieht aus den Augenwinkeln zu ihr rüber und lehnt sich dem Wirt über den Tresen entgegen. Sie versteht nichts von dem was gesagt wird. Jetzt sieht er sie offen an, der Wirt wendet den Kopf und nickt kurz in ihre Richtung als er spricht, als würde er auf sie deuten. Der andere nickt, bestellt etwas beim Wirt. Er bekommt ein gezapftes Bier und der Wirt stellt ein Cognacglas vor sie hin. „Von dem Herrn da drüben“, nickt er in Richtung des Mannes. Ein recht ungewohnter Satz für seinen Mund, der Klang wirkt hier fremd.
Sie nimmt das Glas, prostet in Richtung des Spenders und kippt es in einem Zug hinunter. Er zieht eine Augenbraue hoch und kommt zu ihr herüber. „So durstig?“ Sie schämt sich, weiß keine Antwort und weiß auch nicht warum sie das getan hat. Per Fingerzeig bestellt er noch einen für sie. Der Wirt schenkt aus der Flasche in das benutzte Glas nach. Der Mann neben ihr nickt und der Wirt hebt die Flasche noch einmal etwas höher. Das Glas ist jetzt halb voll. Er hebt ihr sein Bierglas entgegen.
„Na denn, Prost schöne Frau.“ Sie nickt, stößt gegen sein Glas und kippt wieder alles in einem Zug runter. Es brennt in der Kehle, sie mag gar keinen Cognac, schüttelt sich kurz und spült den Geschmack mit einem großen Schluck Bier hinunter.
Sie hat nicht das Bedürfnis mit dem Mann zu reden und ihm fällt auch nichts ein, als ihr noch ein Glas zu bestellen. Der Wirt schenkt noch einmal großzügig nach. Sie spürt die erste Wirkung des Alkohols. Ein leises Rauschen in ihrem Kopf, dass sie eigentlich warnen sollte, weil es nur der Anfang von dem ist, was noch kommen wird. Die Warnung ignorierend stürzt sie auch das nächste Glas noch in einem Zug hinunter. Dafür ignoriert ihre Zunge bereits den seifigen Geschmack und wird sich in wenigen Minuten lockern. Der Mann neben ihr wartet eine Weile stumm ab und sieht ihr dabei die ganze Zeit unverhohlen ins Gesicht, als würde er darin etwas entdecken können. Sie gibt sich Mühe alles hinter einem Gesicht ohne Ausdruck zu verbergen, aber wahrscheinlich kann er ihre Einsamkeit riechen. Warum sonst wäre sie wohl hier eingekehrt.

„Immernoch durstig“, fragt er nach einer Weile in ihr hohles Gesicht, vielleicht auch nur um irgendetwas zu sagen.
Ein Kichern steigt albern in ihr hoch. „Sie wollen mich wohl betrunken machen?“
„Ja, und dann verführe ich sie, sie werden mir hörig und wir beide bleiben für den Rest unserer Tage zusammen.“ „Ja ja, das könnte ihnen so passen“, grinst sie leicht nuschelnd vor sich her. „Wenn´s ihnen gefallen würde, warum denn nicht?“
„Dann haben sie bestimmt ihr weißen Pferd draußen vor der Tür?“
„Genau, ganz edler Lipizzaner. Na, noch einen?“
Sie nickt, jetzt ist es sowieso schon fast egal. Ihr Urteilsvermögen hat sich gerade eben verabschiedet. Vielleicht, wenn sie jetzt noch ein paar Gläser trinkt, wer weiß, man kann ja nie wissen, vielleicht ist er ja wirklich der Mann mit dem Pferd.
Er bestellt, sie trinkt.
„Und sie haben wirklich ein Pferd?“ „Nein, das nicht, aber ich kann reiten“, dabei zieht er die Augenbrauen vielsagend nach oben um die Zweideutigkeit der Aussage noch zu unterstreichen. Sie prustet, als wäre das jetzt der Witz des Jahres. „Und ich kann wiehern.“ Ihr Kopf lehnt sich an seine Schulter und bleibt dort liegen. Zuviel Vertraulichkeit für diesen kurzen Moment, aber er greift zu, legt den Arm um ihre Schultern und drückt sie an sich und seine Nase in ihr Haar. „Du duftest so gut.“
Ja, nach Büro und Kino, denkt sie, schweigt aber. Seine Hand spielt mit ihren Haaren. „Schönes Haar hast du.“ Seine Hand greift ihr Kinn damit sie ihn ansehen muss. „Und so schöne Augen.“ Sie versucht seinen Blick zu halten, aber er verschwimmt ihr. Sie bläst den Atem in einem Stoß über die Unterlippe aus, lehnt ihre Stirn an seine Schulter. Seine Hand streichelt ihren Nacken, sie möchte jetzt schnurren.
Er hebt die Hand, macht dem Wirt ein Zeichen mit Zeige- und Mittelfinger.
Der Wirt stellt ein neues Glas zu ihrem und kippt beide halbvoll. Die Männer sehen sich an, stilles Einverständnis im Blick.
„Zapfenstreich für heute“, verkündet der Wirt laut in die Runde. Murrend werden Stühle geschoben und Bierdeckel auf den Tresen geworfen.
Einer begehrt auf. „Und die Frau? Und Kalle?“
„Für die Dame rufen wir gleich ein Taxi und Kalle hilft mir beim Stühle hochstellen!“
Die anderen wollen auch mal, die Stühle hochstellen, wenn sich eine hierher verirrt und beim Kalle hängenbleibt. Aber hier sind Aufgaben und Gelegenheiten seit Jahren in fester Hand, da kann man nichts dran rütteln.
Als der letzte sich in seine Jacke geschoben hat schließt der Wirt hinter ihm die Tür.
Kalle hält ihr das Glas vor die Nase. „Hier, trink aus!“ Sie muss das Glas mit beiden Händen halten. Er stößt mit ihr an. Noch einmal stürzt sie alles auf einmal hinunter. Er rettet das Glas vor dem Absturz, als sie es fast neben den Tresen stellt.
Hinter ihr steht der Wirt, ganz nah. Sie spürt seine Gegenwart und lehnt sich rückwärts gegen seinen Wirtsbauch. Seine Hände umgreifen sie, dort wo schon lange keiner mehr hingegriffen hat. Der andere spreizt ihre Beine und reibt dazwischen bis sie sich ihm entgegen schiebt.
„Billardzimmer“, fragt Kalle. Der Wirt nickt, dann führen die beiden Männer sie in eines der hinteren Zimmer.






Freitag, 25. Juni 2010 - 23:49 Uhr
flüchtig


leise klirrend zieht sich
ein Ring aus dem anderen
treibt hinaus in seichten Wellen
geht Tropfen um Tropfen
zum steinerweichen
immer näher
bis sich nichts mehr bricht
bis alles glatt und klar
und eins ist miteinander

weiche Wellen brechen nicht
spülen seichte alles fort
was unklar ist und rau
ziehen in den Bann in ihrer Mitte
wo sich alles trifft und eint
dort zieht es uns hinab
in andre Tiefen
die wir nicht fassen können
bis uns kein Atem bleibt

wir stoßen auf den Grund
von allem
in uns selbst
im miteinander
und tragen uns
auf Wellen fort
vom sein





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