Das Telefon in ihrer Hand fühlt sich
warm und verschwitzt an. Ein kurzer Blick auf das Display, das noch
die Spuren der letzten Telefonate trägt. Sie wischt es kreisend am
Ärmel sauber, kontrolliert den Erfolg und lässt den Arm wieder
hängen ohne das Telefon abzulegen.
Wieder beugt sie den Oberkörper über
das Fensterbrett nach vorn, lehnt die Stirn gegen das Fensterglas.
Nur eine Glasschicht, die noch die bläulichen Spuren der Herstellung
als geheimnisvolle Schlieren in sich trägt. Das Glas vielleicht
schon so alt wie dieses Haus.
Hinter der Stirn brummt ein leichter
Kopfschmerz der wohl auch von der Kälte herrührt. So wie man
manchmal Kopfschmerzen bekommt wenn man zu schnell zu viel Eis isst.
Unten auf der Straße stehen die
schwarzen Skelette der Winterbäume in Reih´und Glied wie die
Zinnsoldaten. Ein Baum wie der andere haben sie die letzten
Jahrzehnte überdauert und bilden im Sommer ein grünes Dach, das von
hier oben fast undurchschaubar ist.
Wie oft hat sie wohl in den letzten
Monaten hier oben gestanden und dort herunter gestarrt, das Telefon
in der Hand, die Hoffnung im Kopf, er möge doch jetzt bitte sofort
dort unten erscheinen, zu ihr hinaufsehen, die Hand heben, lächeln
und ihr zuwinken. Nur um ein paar Minuten später durch das alte
Stiegenhaus nach oben zu stürmen, sie in den Arm zu nehmen und sie
in der engen,langen Diele im Kreis zu schleudern, dass sie sich die
Knochen anstößt und das würde ihr gar nichts ausmachen.
Immer wieder hatte er gesagt, er würde
kommen, bald. Und vielleicht würde er sogar bleiben, einfach so,
weil er nie wieder fortgehen könne von ihr. Einfach alles hinter
sich lassen und noch einmal ganz von vorn beginnen, nur sie beide.
Sie hatte ihm geglaubt, jedes Wort,
weil alles so ehrlich klang, so voller Hoffnung war und voller
Gefühl. Gefühle die nur noch greifbar werden mussten, die einfach
tatsächlich werden mussten, weil sie so echt waren, sich so
anfühlten.
Aber immer wieder kam ihm etwas
dazwischen. Termine, plötzlicher Besuch, Krankheit und schließlich
seine Angst vor der eigenen Courage, die, je länger es dauerte,
immer geringer wurde, bis sie schließlich ganz verschwand.
Und sie hatte hier oben gestanden, auf
die Straße gesehen und gewartet.
Durch das erste helle Grün an den
Ästen, durch das dichte Blätterdach, das sich verfärbende
Herbstlaub und schließlich durch die kahlen Winterzweige und den
ersten Schnee auf den Ästen.
Bis sie endlich begriffen hatte. Ihr
Mut würde einfach nicht für beide reichen.
Seine Angst vor dem was kommen könnte
war um so vieles größer als die Hoffnung auf das was sein könnte.
Kein Gefühl konnte größer sein als
diese Angst, die sie auch mit all ihrem Glauben an sich, die Liebe,
an die Zukunft, nicht besiegen konnte.
Es war als führte man einen Hungernden
mit gefesselten Händen und vernähten Lippen an einem Büfett
entlang, nur um ihm zu zeigen was es alles an Kostbarkeiten gäbe,
mit denen man sich den Bauch und die Seele vollschlagen könnte, bis
man fast platzen möchte vor Sattheit und Glück.
Sie spürte die aufkommende Kälte, sah
an dem Morgen nach der Eisregennacht all die kleinen glitzernden,
vereisten Äste herabbrechen und am Boden liegen. All die kleinen
Wunden an den verletzten Ästen durch die Kälte eindringen konnte
bis auf den Stamm. Im nächsten Frühjahr würde man all die
abgestorbenen Spitzen sehen, die jetzt Schaden genommen hatten und
die dann den Bäumen einen Teil ihrer Pracht nehmen würde.
Wind kam auf, schlug die Äste klirrend
gegeneinander und brach die Eisschicht auf, die in kleinen Scherben
wie Schnee unter den Bäumen lag.
Fast ein Jahr hatte sie den Bäumen
zugesehen und gewartet.
Heute morgen hatte sie in der Zeitung
gelesen, dass demnächst Männer kommen würden, andere Männer, mit
großen Sägen und alle Bäume absägen würden weil sie krank waren.
So krank dass sie sterben würden. Obwohl sie von außen noch gesund
aussahen verfaulten sie von den Stämmen her und über kurz oder lang
würde man ihnen ansehen können wie es um sie stand.
Vielleicht würde man neue Bäume
pflanzen und sie würde ihnen zusehen können wie sie wuchsen.
Aber dass sie wieder so eine Allee
bilden würden, das würde sie wohl nicht mehr erleben.
Sie lehnt mit der Stirn am eisigen
Fenster, sieht hinab auf die sterbenden Bäume und ein Gefühl von
Trauer nimmt ihr einen Moment den Atem, ein wenig trauert sie auch um
die Bäume.
1 Kommentar:
Vielen Dank für diese wundervolle Geschichte.
Sie trifft mich gerade in besonderer Weise.
Bin noch ganz sprachlos, Du Wortekünstlerin.
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