Freitag, 28. Oktober 2011

Nachtworte

Ich könnte dir
warme Worte
an die salzige Haut
hinhauchen.
Leise Töne
vom geliebt sein,
vom Wollen


Mich drehen und winden
um dich.,
alles um dich.

Die Angst
vor dem Dunkel
lässt mich
nicht los
lauter reden
dein Schweigen zu übertönen
In meinen Katakomben
hallst du nach

so


Deine Gedanken
so unmöglich
ausgedacht

deine Worte
so unerhört
unaussprechlich

deine Blicke
so unsichtbar
uneinsehbar

deine Berührungen
so unberührbar
unantastbar

deine Nähe
so unnahbar
unfühlbar

so
gedankenlos
schweigend
blind
entrückt

so
hart
in deiner Hand

so
fest
in meinem Herz

immerdar

1
Fehlst
am Tag
und des nachts

fehlst
in den Wiesen
und Feldern
im Wald
und am Meer

fehlst
in allem Denken
und Fühlen
und Sein

fehlst
zwischen den Stunden
den Laken
und Kissen
bei jedem Schritt

ein ewiges
Sehnen
und Suchen
manchmal warm
manchmal kalt
hast du
mein Herz
mich
fest im Griff

Nebelnetze

von Blatt zu Blatt
von Zweig zu Zweig
von Ast zu Ast
von Ast zu Haus
vom Haus
und über die Felder
legen weiße Netze ihre Schleier aus
unter den Nebeln

Herbstlaubfarben
segeln träge zu Boden
in ihr buntes Totenbett

irgendwo
singen Kraniche

ein Schmetterling
schlägt ein letztes Mal
mit taunassen Flügeln
und stirbt einen langsamen Tod

aus roten Morgenschleiern
steigt ein falsches Swarowskiglitzern
ein Fingerzeig genug
alle Spiegel der Welt
in jedem Tropfen
zu zerstören

In diesen Tagen
wartet die Sonne
mit ihrem letztes Strahlen
auf


Donnerstag, 13. Oktober 2011

Das Ende der Allee

Das Telefon in ihrer Hand fühlt sich warm und verschwitzt an. Ein kurzer Blick auf das Display, das noch die Spuren der letzten Telefonate trägt. Sie wischt es kreisend am Ärmel sauber, kontrolliert den Erfolg und lässt den Arm wieder hängen ohne das Telefon abzulegen.
Wieder beugt sie den Oberkörper über das Fensterbrett nach vorn, lehnt die Stirn gegen das Fensterglas. Nur eine Glasschicht, die noch die bläulichen Spuren der Herstellung als geheimnisvolle Schlieren in sich trägt. Das Glas vielleicht schon so alt wie dieses Haus.
Hinter der Stirn brummt ein leichter Kopfschmerz der wohl auch von der Kälte herrührt. So wie man manchmal Kopfschmerzen bekommt wenn man zu schnell zu viel Eis isst.
Unten auf der Straße stehen die schwarzen Skelette der Winterbäume in Reih´und Glied wie die Zinnsoldaten. Ein Baum wie der andere haben sie die letzten Jahrzehnte überdauert und bilden im Sommer ein grünes Dach, das von hier oben fast undurchschaubar ist.

Wie oft hat sie wohl in den letzten Monaten hier oben gestanden und dort herunter gestarrt, das Telefon in der Hand, die Hoffnung im Kopf, er möge doch jetzt bitte sofort dort unten erscheinen, zu ihr hinaufsehen, die Hand heben, lächeln und ihr zuwinken. Nur um ein paar Minuten später durch das alte Stiegenhaus nach oben zu stürmen, sie in den Arm zu nehmen und sie in der engen,langen Diele im Kreis zu schleudern, dass sie sich die Knochen anstößt und das würde ihr gar nichts ausmachen.
Immer wieder hatte er gesagt, er würde kommen, bald. Und vielleicht würde er sogar bleiben, einfach so, weil er nie wieder fortgehen könne von ihr. Einfach alles hinter sich lassen und noch einmal ganz von vorn beginnen, nur sie beide.
Sie hatte ihm geglaubt, jedes Wort, weil alles so ehrlich klang, so voller Hoffnung war und voller Gefühl. Gefühle die nur noch greifbar werden mussten, die einfach tatsächlich werden mussten, weil sie so echt waren, sich so anfühlten.

Aber immer wieder kam ihm etwas dazwischen. Termine, plötzlicher Besuch, Krankheit und schließlich seine Angst vor der eigenen Courage, die, je länger es dauerte, immer geringer wurde, bis sie schließlich ganz verschwand.
Und sie hatte hier oben gestanden, auf die Straße gesehen und gewartet.
Durch das erste helle Grün an den Ästen, durch das dichte Blätterdach, das sich verfärbende Herbstlaub und schließlich durch die kahlen Winterzweige und den ersten Schnee auf den Ästen.
Bis sie endlich begriffen hatte. Ihr Mut würde einfach nicht für beide reichen.
Seine Angst vor dem was kommen könnte war um so vieles größer als die Hoffnung auf das was sein könnte.
Kein Gefühl konnte größer sein als diese Angst, die sie auch mit all ihrem Glauben an sich, die Liebe, an die Zukunft, nicht besiegen konnte.
Es war als führte man einen Hungernden mit gefesselten Händen und vernähten Lippen an einem Büfett entlang, nur um ihm zu zeigen was es alles an Kostbarkeiten gäbe, mit denen man sich den Bauch und die Seele vollschlagen könnte, bis man fast platzen möchte vor Sattheit und Glück.

Sie spürte die aufkommende Kälte, sah an dem Morgen nach der Eisregennacht all die kleinen glitzernden, vereisten Äste herabbrechen und am Boden liegen. All die kleinen Wunden an den verletzten Ästen durch die Kälte eindringen konnte bis auf den Stamm. Im nächsten Frühjahr würde man all die abgestorbenen Spitzen sehen, die jetzt Schaden genommen hatten und die dann den Bäumen einen Teil ihrer Pracht nehmen würde.
Wind kam auf, schlug die Äste klirrend gegeneinander und brach die Eisschicht auf, die in kleinen Scherben wie Schnee unter den Bäumen lag.

Fast ein Jahr hatte sie den Bäumen zugesehen und gewartet.

Heute morgen hatte sie in der Zeitung gelesen, dass demnächst Männer kommen würden, andere Männer, mit großen Sägen und alle Bäume absägen würden weil sie krank waren. So krank dass sie sterben würden. Obwohl sie von außen noch gesund aussahen verfaulten sie von den Stämmen her und über kurz oder lang würde man ihnen ansehen können wie es um sie stand.

Vielleicht würde man neue Bäume pflanzen und sie würde ihnen zusehen können wie sie wuchsen.
Aber dass sie wieder so eine Allee bilden würden, das würde sie wohl nicht mehr erleben.

Sie lehnt mit der Stirn am eisigen Fenster, sieht hinab auf die sterbenden Bäume und ein Gefühl von Trauer nimmt ihr einen Moment den Atem, ein wenig trauert sie auch um die Bäume.