Samstag, 23. Oktober 2010

drunter und drüber

Ich wollte heute Nacht etwas schreiben, einen Text zur Musik, einen Text wie Musik.
Aber solche Texte schreiben sich nicht in finsteren Vollmondnächten, in denen der Sturm die Wolken zerfetzt, ohne Erfolg. Kein Licht dringt durch die düstere Decke, alles hüllt sich in schwarz.
Auch ich und trete hinaus auf die nassen Straßen, Laub klebt mir an den Beinen, der Wind reißt es fort. Ich stelle mir vor es wäre Haut, meine Haut. So geschält wäre ich echt, ich. Gehen, laufen, rennen. Den Takt meiner Schritte höre ich an Häuserwänden abprallen und stelle mir vor, einer wacht auf, tritt ans Fenster und sieht mich.
Er sieht auf mich herab, zwangsläufig.
Sieht wie ich hier neben der Lampe stehe und an der nassen Zigarette sauge, den Rauch wie einen Feuerstrahl ausstoße, als würde ich brennen in diesem Sturm.
Etwas brennt in mir, lichterloh.

Man sollte den Schmerz beizeiten in kleine Stücke zerhacken, bevor er sich zusammenballt in einem und wie die Feuersbrunst einer Bombennacht in einem wühlt.
Er frisst sich zusammen aus Worten und Gesten. Frisst sich daran satt und wächst bis er unaushaltbar groß werden kann. Zuerst greift er mit zierlichen Fingern mal hier ein Wort auf und dort einen Satz und dann stopft er irgendwann alles, dessen er hörhaft werden kann, mit vollen Händen in sich hinein.
Man füttert ihn mit schmeichlerisch, hoffnungsvollen Gedanken. Und er säuselt etwas wie, alles wird gut.
Tag für Tag bereitet er sich vor, auf die Zeit des Darbens, wenn er nur noch von Hass und Verachtung genährt wird, denn nur damit ist er zu besiegen.
Er ist so fett und mächtig, dass man denken mag er wäre nie kleiner zu kriegen. Bis man ihn eines Tages den Hunger lehrt, hört wie er jammert und letztlich stirbt und mit ihm ein Rest an Gefühlen, die Neige, der letzte Schluck, den man sich noch einmal bitter durch die Kehle rinnen lässt.

Wer fühlen will muss leiden. Das kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. So einfach tritt das Wollen nicht mit einer letzten Verbeugung ab, wenn der Wille in diesem Stück die Regie nicht führt.
Das Drehbuch liegt vor mir in der Pfütze, der Sturm zerrt an den Seiten. Blatt für Blatt passiert Revue, vor und zurück wenn der Wind sich dreht.
Bevor ich die letzte Szene gelesen habe schiebt eine Böe die Seiten durch den Rinnstein vor sich her und fort. Ich will nicht wissen wie es ausgeht, noch nicht.
Noch ist der Schmerz nicht satt, das Leid nicht ausgelitten. Nutzlose Tränen im Regen, fad und ohne Geschmack. Nicht wie die, mit denen man mit einer salzigen Kruste auf der Haut aus Träumen erwacht.
Eine Motte prallt verlockt gegen das Lampenglas und verlischt ihr Leben in der Nässe zu meinen Füßen. Im rechten Winkel zuckt der intakte Flügel noch ein paar Mal, dann faltet sie sich auf und treibt davon ohne Chance auf ein Schmetterlingsdasein.
Meine Hände pressen sich auf meinen Leib, ich will sie dort halten. Sie sollen wild und wirrend flattern bei jedem Gedanken. Ich ziehe meine Kreise enger und weiter.
Ich ziehe nicht weiter, nicht einen einzigen Schritt mehr. Will meinen Schmerz füttern und ihn horten.
Ich sehe hinauf zu dem Fenster und erkenne wer dort steht und auf mich herabsieht.
Der Himmel reißt auf, für einen kurzen Moment macht er mich sehend nur erkennen kann ich nichts. Etwas verschleiert mehr als nur meinen Blick.
Selbst wenn ich jetzt gehen wollte, ich könnte nicht, nicht einen einzigen Schritt.
Ich habe Wurzeln geschlagen.


Keine Kommentare: