Freitag, 31. Dezember 2010

Ein-Bruch

Jeder Blick in den Spiegel zeigt eine Fremde. Der leere Blick über dunklen Schatten, die schmal zusammengepressten Lippen.
Oft hat sie in den letzten Wochen dagestanden, einen Haarschopf in der einen Hand, in der anderen eine Schere, um dann doch wieder alles fallen zu lassen. Die Haare wieder ins Gesicht, um sich dahinter verbergen zu können und den Gedanken, dass man alte Zöpfe einfach abschneiden könne, wie man ein Geschwür herausschneidet und manchmal ist dann danach alles wieder gut.

Nur, dass das was da wächst und sich eingenistet hat kein Geschwür ist dem man mit einem Messer beikommen kann, es ist nicht einmal etwas bösartiges.
Eigentlich ist es ein Gefühl nach dem alle streben, dass man unbedingt fühlen und bewahren will. Aber es hat kein Ziel, keinen Weg, keinen Gegenspieler.
Da wo es sich warm ausbreiten sollte schwappt immer wieder eine eisige Welle darüber hinweg und jede dem Leben zugeordnete Eigenschaft endet auf -los.

In der Kälte krümmt sie sich, als könne sie damit etwas bewahren, zwingt sich weiter zu atmen und durch die nächste Stunde. Nur diese Stunde überstehen und die nächste und die danach. Als müsste man mit einem Schwert jeden aufkommenden Gedanken an Erlösung in kleine Stücke zerhacken, bis er endlich nur noch zuckend am Boden liegt und stirbt. Manchmal hat sie Glück und ist des Kampfes so müde, dass sie stundenlang schläft und dann ist es ein wenig überstanden, bis zum nächsten Kampf, dessen Ende mit seinem wärmenden Vergessen manchmal so verlockend erscheint.
Wenn es nur einen Weg geben würde, all denen die da waren die Schuld zu nehmen, ihnen mit den richtigen Worten die Absolution zu erteilen.
Dann wäre es, gerade jetzt, so einfach, immer weiter zu gehen um nicht mehr weiter gehen zu müssen. Jeder Versuch der letzten Spur zu folgen wäre vergeblich, die Nächte sind kalt.
Und dann ist wieder eine Stunde überstanden.

Alles hat sich aufgeschaukelt, wie eine Glaskugel in einer Bahn, der man immer wieder einen neuen Schwung gibt, damit sie in einem Looping ihren Kreis zieht um dann neben dem Ausgangspunkt in der nächsten Bahn wieder weiter zu laufen. Nur war der letzte Schwung zu schwach und die Kugel ist aus der oberen Mitte der Kreisbahn abgestürzt und beim Aufprall zersprungen.
Es ist kalt und dunkel zwischen den Felsen, der Rückweg abgeschnitten, die Brücke zerstört, endet im Nichts. Da ist nicht einmal mehr die Angst vor der Furchtlosigkeit, vor dem Absturz. Warten, bar jeder Hoffnung, dass es vorübergeht, irgendwie.
Dabei die Erkenntnis, dass das Licht am Ende des Tunnels trügerisch ist, eine wohlmeinende Lüge in der sich kein Trost finden lässt wenn man sie erkannt hat.
Dort steht lediglich eine flackernde Kerze, fast heruntergebrannt, vor einer Wand.
Ein nicht enden wollender Weg zwischen der Wand und dem Ende der Brücke, den man manchmal mit allerletzter Kraft laufen möchte, um entweder an der Wand zu zerschellen, oder über das Ende der Brücke hinaus zu laufen.
Im freien Fall, mit dem pfeifenden Schrei eines Vogels auf den Lippen, gerauchte Jugendträume.

Schall und Rauch, der Panther.
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe,
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Manch eine Sehnsucht kehrt immer wieder, wie ein Fluch, der nicht verhandelbar ist, Erbsünde vielleicht?
Im Bewusstsein, das ein entziehen nur die eine Ungewissheit gegen eine andere tauscht. Vielleicht bleibt es für immer, so oder so, und die vermeintliche Erlösung ist gar keine. Das Wissen um die Schuld derer die bleiben müssen verhindert den letzten Schritt. Das Schicksal kennt keine Gnade und schweigt sich aus.

Alte Geschichten vermischen sich mit den Fragen nach den Gründen für neuere. Irgendwo da steckt wahrscheinlich die Antwort, der eigene Wert mit der immer wieder gesuchten Gefahr ihn nicht bestätigt zu sehen. Sich immer wieder dorthin zurück zu bringen wo man hergekommen ist.
Verlassen, aber nicht verlassen können, auf etwas, auf jemanden.
Loslassen müssen, aber nicht können, weil es nie ein größeres Gefühl gab und wohl auch nicht mehr geben wird. Weil das nie ein anderer erreichen könnte und deshalb von vornherein alles nur ein schwacher, halbherziger, verlogener Trost wäre.
Lieber allein, als mit einem falschen Menschen zu sein.

Irgendwo ganz tief, glimmt noch ein kleiner Span Hoffnung, an dem sich das Feuer noch einmal entzünden könnte. Eine Ahnung von Wärme.
Nur ein Weg führt zum – alles wird gut – die Schranke steht offen.
Der Span glimmt wie ein ewiges Feuer, das nur an einem Ort brennen kann.
Dann zeigt sich im Spiegel das was mal war und wieder zum Vorschein kommen möchte.
Es geht es weiter, Schritt für Schritt, der manchmal krachend einbricht, wie auf harschiger Schneedecke die hart ist und nichts trägt.
Alles denken dreht um das eine, alles ist wie es ist und muss nie so bleiben.
Manchmal schleicht sich Milde in die Gedanken, Erinnerungen an Worte, an Augenblicke, die immer bleiben, weil man die Vergangenheit immer auch mit in die Zukunft trägt, egal wie schwer sie wiegt.




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