Wann es zum ersten Mal
dagewesen ist weiß ich gar nicht mehr so genau.
Irgendwann ist es
aufgetaucht. Zuerst war es ganz leise, kaum wahrnehmbar. Es war auch
nur gelegentlich zu hören.
Mehr als ein kurzes
Aufhorchen habe ich ihm nie gewidmet, um es sogleich als Irrtum
wieder abzutun. Ich habe die Stirn beim Lauschen gerunzelt und einen
Moment später unwillig mit dem Kopf geschüttelt.
Aber es wurde immer
beharrlicher, hielt immer ein paar Sekunden länger an.
Es war schwer zu
lokalisieren.
Zuerst kam es aus der Ecke
hinter dem Sofa.
Ich habe alle Kissen
beiseite geräumt, das Sofa nach vorn gerückt. Da war nichts, nicht
die geringste Spur.
Dann tauchte es hinter dem
Schrank wieder auf.
Ich öffnete die Türen,
räumte alle Fächer und Schubladen aus. Ruhe. Ich ließ alles so wie
es war, stapelte Papiere und Geschirr auf dem Tisch und horchte jedes
Mal im Vorbeigehen ob es wieder zurück gekommen war.
Manchmal, ganz leise,
hörte ich es, aber es entglitt mir immer wieder. Bis ich schließlich
genug hatte davon, den Schrank komplett ausräumte und ihn von der
Wand zog.
Außer ein paar Flusen,
die nun wirklich keine Geräusche machen, fand ich nichts.
Den Schrank ließ ich
schräg im Raum, einen halben Meter vor der Wand, stehen. Nur für
den Fall.
Ich legte, oder besser
stellte mich auf die Lauer. Kurz bevor die Dunkelheit sich des Raumes
bemächtigte stand ich oft minutenlang an der Seitenwand des Schranks
und wartete mit flachem Atem. Ich war fest entschlossen mich mit dem
nassen Tuch in meiner Hand darauf zu stürzen sobald es sich wieder
bemerkbar machen würde, ganz egal was es sein würde. Aber es kam
nicht wieder.
Vielleicht hatte ich es ja
mit meiner Wachsamkeit und dem Aktionismus verscheucht?
Nach einer Weile
entspannte ich mich wieder etwas und hätte es fast vergessen können,
wenn ich den Schrank wieder eingeräumt und an seinen Platz geschoben
hätte.
Ich ließ die Musik etwas
lauter spielen und pfiff jedes Mal die Melodie mit wenn ich in die
Nähe von Schrank oder Couch kam.
Eines abends saß ich
lesend im Sessel im Lichtkreis meiner schummrigen Leselampe.
Ich faltete die Seiten
zusammen, ließ den Zeigefinger dazwischen liegen und lauschte. Ruhe,
kein einziges Geräusch.
Wissen Sie wie
beunruhigend vollkommene Stille in solchen Momenten sein kann?
Ich klappte das Buch
wieder auf und versuchte mich summend auf die Zeilen zu
konzentrieren, bis ich es aufgab, das Buch beiseite legte, das Licht
löschte und ins Bett ging.
Ich kroch zwischen die
kalte Baumwolle von Kissen und Decke, zog mir die Decke bis über die
Schultern und wartete darauf dass mein Körper seine Wärme darunter
um mich ausbreiten würde. Die Müdigkeit rückte ein wenig näher an
mich, schlang ihre Arme um mich und ließ die Lider vor das
Vergessen fallen wie schwere Vorhänge in einem alten Theater.
Es war ein Traum, bestimmt
war es nur ein Traum, ich war mir fast sicher.
Es raschelte, kratzte und
trippelte direkt unter mir. Zwischen dem Koffer mit den alten Fotos
und den Kartons mit den Schuhfehlkäufen.
Meine Augen starrten
unbewegt in die Dunkelheit. Ich folgte den Bewegungen. Hin und her
und wieder zurück. Es wurde lauter wenn es an den Rand kam und auf
dem Weg war unter dem Bett hervor zu kommen. Dann stoppte es kurz und
wandte sich geschäftig wieder zurück, als hätte es dort noch etwas
vergessen.
Wie lange ich so lag und
lauschte weiß ich nicht mehr. Aber irgendwann war es wohl
eingeschlafen, oder ich.
Am nächsten Morgen stand
ich auf als wäre nichts gewesen, schüttelte Kissen und Decke auf
und öffnete das Fenster. Vielleicht hatte ich es ja auch vergessen,
oder wollte mich einfach nicht erinnern.
Ich hatte viel zu tun an
diesem Tag und am Abend hatte ich es tatsächlich vergessen, bis es
mich wieder einholte. Gerade als ich die Augen schließen wollte war
es wieder da.
Wieder dieses geschäftige
Treiben, direkt unter mir, als müsste ich nur mit einer Hand unter
das Bett greifen wenn es sich wieder an den Rand bewegte und kurz
bevor es wieder umkehrte könnte ich zupacken, es mit angeekeltem
Gesicht hervor ziehen und es einfach in die Toilette werfen, ohne hin
zu sehen, und dann die Spülung betätigen.
Aber wie würde es sich
anfühlen? Pelzig, schalig, beinig? Vielleicht würde es nach mir
schnappen oder sich in einem Finger festbeißen.
Vorsichtig und bemüht
geräuschlos ließ ich einen Arm unter der Decke hervorgleiten,
suchte nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe und atmete noch
einmal durch bevor ich das Licht anschaltete. Ruhe.
Ich wartete eine Weile,
lauschte. Aber es blieb still. Sicher hatte ich es erschreckt.
Wahrscheinlich würde es
jetzt vor lauter Schreck für den Rest der Nacht Ruhe geben und ich
könnte endlich schlafen.
Ich löschte das Licht
wieder und es blieb ruhig. Es war nichts zu hören außer meinem
eigenen Atem.
Ich zog die Decke ein
wenig fester um die Schultern, seufzte und beschloss mich am nächsten
Morgen darum zu kümmern.
Dann war es wieder da. Es
krabbelte weiter, jetzt noch hektischer als vorher, als müsste es
jetzt die eben versäumte Regsamkeit nachholen. Wieder schaltete ich
das Licht an, wieder war Stille. Warten. Licht aus, warten. Und es
wurde noch hektischer als zuvor. Licht an, Ruhe. Licht aus, Hektik.
Ich hatte die Idee es
vielleicht auf diese Art und Weise in den Wahnsinn zu treiben und am
nächsten Morgen würde es tot unter dem Bett liegen. Vor Erschöpfung
verendet.
Allerdings war ich dazu
selbst viel zu müde und irgendwann übermannte mich der Schlaf und
das Licht brannte bis zum nächsten Morgen.
Ich war es leid mich um
meine wohlverdiente Nachtruhe bringen zu lassen, wovon auch immer und
stülpte die gelben Gummihandschuhe über bevor ich mich daran machte
alles unter dem Bett hervor zu ziehen.
Ich putze die Kartons und
den Koffer mit einem feuchten Lappen, befreite sie von allem Staub.
Fuhr mit dem Staubsauger auch bis in die letzte Ritze und ging das
Risiko ein mir das Parkett zu ruinieren, weil ich mit viel heißem
Wasser unter dem Bett aufwischte. Nacheinander versprühte ich
Insekten- und Desinfektionsspray und leuchtete zum Schluss mit einer
Taschenlampe alles ab.
Koffer und Kartons
verstaute ich auf dem Schrank, nicht ohne dort vorher auch noch
gründlich zu putzen.
Egal was sich dort bewegt
hatte, es hatte definitiv nicht überleben können und ich hatte ihm
jegliche Möglichkeit genommen sich dort zu verkriechen.
Am Abend freute ich mich
auf meine ungestörte Nachtruhe, kuschelte mich ein und wartete auf
den Schlaf. Aber er wollte nicht kommen, wahrscheinlich wartete ich
vielmehr auf die Rückkehr des Geräusches, oder vielmehr darauf dass
es nicht zurück kommen würde. Aber wie kann man ein nicht
vorhandenes Geräusch nicht hören?
Ich schaute noch einmal
auf die Leuchtziffern meines Weckers, da war es bereits 2.13 Uhr und
ich lauschte schon über drei Stunden.
Dann muss ich wohl doch
eingeschlafen sein, denn als ich wieder aufwachte und auf die Ziffern
sah leuchtete es mir rot 4.27 Uhr entgegen.
Und es war wieder da.
Hektischer und lauter als in den Nächten vorher. Vielleicht weil ich
ihm seine Versteckmöglichkeiten genommen hatte. Oder ich hatte ihm
etwas genommen dass ihm wichtig war. Vielleicht war es der Koffer mit
den Fotos? Vielleicht würde es ja Ruhe geben wenn ich jetzt
aufstehen würde, den Koffer vom Schrank holen würde und ihn wieder
zurück unter das Bett schieben würde.
Aber ich traute mich nicht
aufzustehen und die Füße vor dem Bett auf den Boden zu setzen. Was,
wenn es jetzt so wütend wäre dass es mich beißen würde?
Mir bleib nichts anderes
übrig als es wieder mit dem Licht zu erschrecken.
Es hörte zwar nicht ganz
auf, aber es schien irgendwie besänftigt und war nur noch
gelegentlich zu vernehmen. So als würde jemand neben einem liegen
der von etwas aufregendem träumt.
Ich ließ das Licht
brennen und versuchte trotzdem noch ein wenig unruhigen Schlaf zu
bekommen.
Am Tag hatte ich das
Gefühl etwas zu hören jedes Mal wenn ich an der Schlafzimmertür
vorbeiging.
Ich öffnete die Tür
einige Male vorsichtig und leise, bückte mich weit genug um unter
das Bett sehen zu können, nur um zu sehen dass dort nichts war.
Abends überlegte ich kurz
ob ich mein Nachtlager nicht auf das Sofa verlegen sollte. Aber so
schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben, denn schließlich war
das mein Schlafzimmer, mein Bett und scheinbar auch mein Geräusch.
Wie ich leider feststellen
musste als ich wieder im Bett lag.
Aber jetzt war es
scheinbar nicht mehr allein. Es waren mehr Beine, Füße, Pfoten,
worauf auch immer sich das unter meinem Bett bewegte.
Und sie hörten auch nicht
auf sich zu bewegen als ich das Licht anmachte. Im Gegenteil sie
wurden immer mutiger. Schabten jetzt auch an den Beinen des Bettes
und hangelten sich am Lattenrost unter mir entlang.
Ich setzte mich im Bett
auf, hieb mit den Fäusten auf die Matratzen, schimpfte, bettelte und
flehte. Nichts half, sie machten munter weiter mit ihren schabenden,
krabbelnden Geräuschen, als wäre es ihre Welt und nicht meine.
Ob ich in dieser Nacht
überhaupt geschlafen habe? Ich weiß es nicht, nur dass ich die
Nacht im Bett sitzend verbracht habe, die Arme um die angezogenen
Beine geschlungen und den Kopf auf den Knien, bis es endlich wieder
Tag wurde.
Kennen Sie das auch, wenn
ein Geräusch einen den ganzen Tag über begleitet als käme es
direkt aus dem eigenen Kopf?
Aber unter meinem Bett ist
jetzt Ruhe.
Nur manchmal muss ich mir
ein paar Büschel Haare ausreißen, dann wird es wieder etwas
ruhiger.